Auf die Wissenschaft hören – in Pandemie und Klimawandel
„Das Ziel – Schutz und Erhalt unseres jetzigen Lebens, wie wir es kennen – kann momentan nur durch eine massive Transformation der Gesellschaft geschafft werden. Dazu sind politische Maßnahmen notwendig, die schon lange bekannt und wissenschaftlich belegt sind, aber eben auch umgesetzt werden müssen. Der Staat kann die Bevölkerung auf diesem Weg mitnehmen und auf die Menschen vertrauen. Denn – und auch das sind die Lehren aus der Corona-Pandemie – staatliche Maßnahmen werden akzeptiert, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen.“ Ein Expert Statement von Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt.
In der Corona-Pandemie hat sich gezeigt, wie wichtig wissenschaftliche Forschung und Expertenwissen sind und wie schnell Lösungen entwickelt werden können, wenn global auf ein Ziel hingearbeitet wird. Auch die Digitalisierung hat einen enormen Schub hingelegt und während vor zwei Jahren noch diskutiert wurde, inwieweit Home Office überhaupt verfügbar gemacht werden sollte, weitet Siemens nun für die Zeit nach der Pandemie die Möglichkeiten für Home-Office aus.
Welche Erfahrungen und Lehren können wir aus der Corona-Krise ziehen und für eine einigermaßen erfolgreiche Bewältigung der Klimakrise anwenden?
1) Die Bedeutung der Wissenschaft zur Krisenbewältigung
In der Coronakrise diente das Expertenwissen aus der Wissenschaft den Politikerinnen als Entscheidungsgrundlage für ihr politisches Handeln – wie es die Politikwissenschaftlerin Professor Sabine Kropp in einem Interview mit der Bundeszentrale für politische Bildung formuliert hat. Aufbauend auf dem Wissen über SARS-Viren und der Pandemieforschung konnten konkrete Handlungsempfehlungen abgegeben werden. Die Politik hat gehandelt und die Vorgaben im Großen und Ganzen umgesetzt – auch wenn es oftmals zu zögerlich geschah und gerade in der Reaktion auf die zweite und dritte Welle der politische Konsens über die Maßnahmen immer wieder gebrochen wurde. Die frühen Warnungen der Wissenschaftlerinnen über die zweite und dritte Welle wurden anfangs nicht von allen ernst genug genommen, Gegenmaßnahmen wurden teilweise spät eingeleitet und an der ein oder anderen Stelle schien die Politik auch in der zweiten und dritten Welle unvorbereitet zu sein – wenn man nur an die Situation der Schulen denkt.
Auf der anderen Seite haben Forscher*innen quasi im Zeitraffer Impfstoffe entwickelt – eine herausragende Leistung, wenn man bedenkt, dass die Entwicklung eines Impfstoffes im Normalfall bis zu zehn Jahre dauert und nur einer von 1000 Impfstoffkandidaten, die im Labor entwickelt werden, es überhaupt in die präklinische Phase schafft.
2) Gemeinsam Lösungen entwickeln
Zwar konnten die Wissenschaftlerinnen auf Forschungsarbeiten zu anderen Coronaviren sowie entsprechende Impfstoffentwicklungen aufbauen, beispielsweise gegen MERS, aber nur durch die globale Zusammenarbeit war dieser schnelle Erfolg überhaupt möglich. Sehr viele Forscherinnen haben weltweit an SARS CoV-2 geforscht und sind noch immer dabei. Die Arbeitsteilung ist global, Ergebnisse werden sehr früh geteilt, Vorkenntnisse und Resultate sind im pre-print-Verfahren schnell öffentlich verfügbar und werden zur Diskussion gestellt. So war die Gensequenz bereits am 10. Januar 2020 bekannt. Darauf aufbauend konnten Versuche und Modellierungen zur Proteinstruktur gestartet werden, um unter anderem mehr über das spike-Protein und die Andockstellen an die Wirtszellen in unserem Körper zu erfahren. Im Normalfall kann allein die Strukturaufklärung eines Proteins Monate dauern, hier waren es einige Wochen. Parallel dazu wurde von Beginn an eng mit den Impfstoffentwicklern zusammengearbeitet und das Zulassungsverfahren über den sogenannten „rolling circle Mechanismus“ beschleunigt, indem aktuelle Studien direkt geprüft wurden und nicht, wie es sonst der Fall ist, erst wenn alle Studien abgeschlossen sind.
Parallel zur Impfstoffentwicklung wird momentan weiter an Medikamenten gegen SARS CoV-2 geforscht. Ein vielversprechender Ansatz wird gerade an der TU Braunschweig mit der Entwicklung von künstlichen Antikörpern gegen SARS CoV-2 verfolgt. Diese können bereits erkrankten Personen gegeben werden und neutralisieren das Virus in deren Körper.
3) Das Wissen in die Bevölkerung tragen
Gleichzeitig wurde noch nie so erfolgreich über und aus der Wissenschaft kommuniziert. Der populäre NDR-Podcast mit Sandra Ciesek und Christian Drosten wurde Anfang 2021 bereits 86 Millionen Mal abgerufen. Und auch in anderen Medien wurde erklärt, wie das Virus wirkt oder wie PCR- und Antigentests funktionieren. Dies alles hat auch dazu beigetragen, dass das Vertrauen in die Wissenschaft gestiegen ist. Im April 2020 gaben rund drei Viertel in einer Befragung an, der Wissenschaft eher oder voll und ganz zu vertrauen. In den Jahren zuvor waren es um die 60%.
Und auch wenn 39% denken, dass es wichtig ist, Informationen auch außerhalb der Wissenschaft zu beziehen und dass Wissenschaftler nicht alles sagen, was sie wissen, wollen 77%, dass politische Entscheidungen im Umgang mit Corona auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen.
Was kann man nun daraus für den Umgang mit der Klimakrise lernen ?
1) Es mangelt nicht an Wissen
Bereits seit Jahrzehnten macht die Klimaforschung auf die Bedrohung durch den Klimawandel aufmerksam und die Vorhersagen werden durch ausgefeiltere Modelle immer besser. Nicht zuletzt beruhen die Sachstandsberichte des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) auf den globalen Forschungsergebnissen und sollen als Grundlage für politische Entscheidungen dienen. Auch wer sich als Laie über die Folgen des Klimawandels informieren möchte, kann zwischenzeitlich aus einer Vielzahl an Büchern, Blogs und Podcasts auswählen. Stefan Ramstorf, einer der bekanntesten deutschen Klimaforscher, erklärt in seinem Blog Klimalounge wichtige Erkenntnisse zu aktuellen Ergebnissen oder Phänomenen, beispielsweise weshalb es in diesem Winter eine außergewöhnliche Kältewelle gegeben hat.
Angekommen ist das Klimawissen in der Bevölkerung zu einem großen Teil. So fühlen sich 60% gut bis sehr gut informiert, aber die restlichen 39% fühlen sich etwas und 1% sogar gar nicht informiert.
Initiativen wie „Klima vor acht“ wollen daher Klima- und Umweltthemen zur prime time in die Medien bringen und schlagen statt einem Format „Börse vor acht“ eben einen Beitrag „Klima vor acht“ vor.
Die ARD hat den Vorschlag abgelehnt, aber immerhin wurde die Idee mit dem ab Juli wöchentlichen MDR-Klima-Update aufgenommen.
2) Es mangelt nicht an Lösungsvorschlägen
Handlungsempfehlungen aus der Wissenschaft und von Expertengremien, wie die Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft gelingen kann, gibt es genug – von Vorschlägen für eine Politik der nachhaltigeren Ernährung über die Mobilität, bis hin zur klimaverträglichen Energieversorgung, um nur einige zu nennen. Es liegt also nicht an der Wissenschaft, die seit Jahrzehnten vor den Folgen des Klimawandels warnt.
3) Es mangelt an politischem Handlungswillen
Aber es liegt oftmals am fehlenden politischen Handlungswillen, die Vorschläge auch umzusetzen. Es scheint die Angst vorzuherrschen, den Bürgerinnen bloß nicht zu viel zuzumuten. Oder es werden die hohen Kosten für die Maßnahmen vorgeschoben, die der deutschen Wirtschaft im internationalen Wettbewerb Nachteile bringen. Dabei fordert ein Großteil der Bürgerinnen, dass in den Handlungsfeldern Energie (70%), Landwirtschaft (59%) oder Verkehrspolitik (51%) Klima- und Umweltschutz mehr berücksichtigt werden sollte. Und es liegt für 80% der Befragten auch im Interesse Deutschlands, im Klimaschutz voranzugehen, um dadurch Arbeitsplätze zu schaffen und die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern.
74% der Bevölkerung stellen der Politik ein schlechtes Zeugnis aus und sind der Meinung, dass Politik nicht genug macht. Noch schlechter wird die Wirtschaft bewertet – nur 16% sind der Meinung, dass diese genug oder eher genug macht.
Auch das Kostenargument wird immer wieder widerlegt. Bekannt wurde der Bericht von Nicholas Stern, der bereits im Jahr 2006 darlegte, dass die Kosten bei einem „Weiter-so“-Szenario mindestens 5% des globalen Bruttoinlandsprodukts jährlich betragen könnten. Aktuellere Daten hat das Carbon Disclosure Project (CDP) gemeinsam mit dem University College London (UCL) berechnet.
Danach werden die Schadenskosten bei einem „business as usual“ auf 5,4 Billionen Dollar pro Jahr bis 2070 geschätzt und würden auch danach kontinuierlich ansteigen. Bei einem 2°C-Szenario würden die Kosten immer noch ein Drittel davon betragen und ihren Höchststand von 1,8 Billionen US-Dollar im Jahr 2070 erreichen. Danach würden sie sich auf diesem Niveau einpendeln und zumindest nicht weiter steigen.
Wie es weitergehen muss: Das Wissen nutzen, Lösungswege beschreiten und gemeinsam auf das Ziel einer nachhaltigen Zukunft hinarbeiten
In der Corona-Krise hat die Bevölkerung massive Einschränkungen mitgetragen und die staatlich vorgegebenen Maßnahmen eingehalten. Allen war bewusst, dass durch die Einschränkungen Schlimmeres verhindert und die Vulnerablen in der Gesellschaft, die Ältesten, nur dadurch geschützt werden können – das Ziel war klar.
Auch das Bewusstsein hat sich in dieser Zeit geändert: Viele sind sensibel geworden für die Verwundbarkeit der Gesellschaft. Die Wertschätzung für selbstverständliche Dinge, wie die eigene Gesundheit oder ein leistungsfähiges Gesundheitssystem ist signifikant gestiegen, auch die Achtsamkeit gegenüber den Anliegen der Menschen und das Gefühl der sozialen Kohärenz und Solidarität, wobei letztere in der zweiten und dritten Welle gefühlt weniger geworden sind.
Gleichzeitig haben wir auch gesehen, dass massive Verhaltensänderungen möglich sind. Einige Änderungen möchten viele auch über die Krise hinaus beibehalten, wie den Ersatz von Dienstreisen durch online-Meetings, mehr Home-Office oder auch so scheinbar banale Dinge wie mehr Wanderungen und Spaziergänge. Dies wäre auch im Sinne einer nachhaltigen Transformation wünschenswert.
Diese Erfahrungen plus die Akzeptanz für die staatlichen Interventionen müssen auf die Transformation hin zu mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit übertragen werden.
Das Ziel – Schutz und Erhalt unseres jetzigen Lebens, wie wir es kennen – kann momentan nur durch eine massive Transformation unserer Lebensweise geschafft werden. Dazu sind politische Maßnahmen notwendig, die schon lange bekannt und wissenschaftlich belegt sind, aber eben auch umgesetzt werden müssen. Der Staat kann die Bevölkerung auf diesem Weg mitnehmen und auf die Menschen vertrauen. Denn – und auch das sind die Lehren aus der Corona-Pandemie – staatliche Maßnahmen werden akzeptiert, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen:
- sie sollten als unmittelbar sinnvoll, verhältnismäßig und erfolgsversprechend angesehen werden
- Belastungen, die durch die Maßnahmen entstehen, sollten als fair und sozial gerecht verteilt wahrgenommen werden
- die politischen Autoritäten, die diese Maßnahmen vorschreiben, sollten als vertrauenswürdig und als dem Gemeinwohl verpflichtet bewertet werden
Dass dies gelingen kann, zeigt das Beispiel Schweden. 1991 wurde die CO2-Steuer mit einem Anfangspreis von 24€ pro Tonne eingeführt, im Jahr 2019 lag der CO2-Preis bei 114€ pro Tonne. Die Ein- und Fortführung dieser Maßnahme gelang durch einen breiten gesellschaftlichen Konsens und eine kluge Politik, die mit steuerlichen Entlastungen in anderen Bereichen kombiniert wurde. Insgesamt sind seit der Einführung der Steuer die CO2-Emissionen um 26% gesunken. Und auch der Wirtschaft hat es nicht geschadet: seit der Einführung der Steuer ist das Bruttoinlandsprodukt um 75% gestiegen.
In diesem Sinne hat die Politik die Aufgabe, die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Lösungswege klug und mutig umzusetzen und vor allem, den Menschen mehr zu vertrauen.
Fazit
Wir müssen uns, so, wie wir uns in den vergangenen anderthalb Jahren für die Schwächsten eingesetzt haben, nun für den Erhalt unserer Lebensbedingungen, unserer Natur und nicht zuletzt für den Schutz der heutigen, wie der zukünftigen Generationen in der gleichen Weise einsetzen und dieses Ziel als gemeinsame Aufgabe begreifen, zu dem wir alle in einer gemeinsamen Anstrengung beitragen können.
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