Zum Hauptinhalt springen
Kontakt aufnehmen

Das eine Netz Welt, in dem wir alle leben

Ein Beitrag von Ute Altanis-Protzer

Dr. med. Ute Altanis-Protzer, M.A. studierte an fünf Universitäten fünf Fächer: Humanmedizin, Literaturwissenschaft, Philosophie, Politikwissenschaft und Medizinische Ethik.

Mehr von Ute Altanis-Protzer

Veröffentlicht: 22.04.2021

Lesezeit: 4 Minuten

Letzte Änderung: 07.09.2023

Themen:

Schlagworte:

  • #corona
  • #expertennetzwerk
  • #journalismus
  • #wissenschaft

„Ich habe kein Rezept für die dringend notwendige Behandlung dieses Zustandes,
aber eins hat sich mir ganz klar eingeschrieben: Die immer komplizierter werdenden
Informationen von Expert*innenseite müssen allen in verständlicher Weise kommuniziert
werden; ich glaube, dass hier den Wissenschaftsjournalist*innen eine ganz wesentliche
Stellung zukommt.“ Ein Expert Statement von Dr. med. Ute Altanis-Protzer zur Bedeutung
von Wissenschaftsjournalismus in der Pandemie.

Vor einem Jahr zitierte ich an dieser Stelle den Text der Nobelpreisträgerin Olga Tokarcuk, in dem  unsere Welt als ein großes Netz benannt wird, in dem wir alle hängen und voneinander abhängig sind, unterschiedslos, da wir alle genauso krank werden, Angst haben und sterben.

Man könnte ein diesjähriges Update hier beenden. Denn deutlicher als jemals ist in der Pandemie doch eben dies erkennbar geworden. Der Begriff sagt es schon: Pandemie bedeutet ein weltumspannendes Ereignis, bei dem in unserem Zeitalter der Globalisierung alles alle betrifft.

Wie allerdings die Zusammenhänge sind, was wir hinterfragen müssen und welche Konsequenzen wir daraus ziehen sollten, dazu hat es viele neue Einsichten und Vertiefungen gegeben in diesem ereignisreichen Jahr mit seinem dauernden Auf und Ab, in dem wir durch wissenschaftliche Erkenntnisse und manche Erfahrungen bereichert wurden.

Ich habe in diesem Jahr vor allem eins gesehen: die ungeheure Wichtigkeit von Transparenz und Kommunikation und die unmittelbar resultierenden Folgeerscheinungen, wenn diese fehlen: Vertrauensverlust, das Gefühl des Ausgeliefertseins und gefährliche Angstzustände auf allen Seiten, die uns und unsere Politiker*innen dann an notwendigen Entscheidungen hindern – ein  Teufelskreis.

Wie beeinflusst die Pandemie Ihr Herzensthema? Reichen Sie ihr Expert Statement bei uns ein!

Was ist alles geschehen! Wir sehen zaghafte Teil-Lockdowns und verzweifelte Öffnungsstrategien, vorübergehende „Nicht-mehr-Risiko-Gebiete“, an anderer Stelle aus dem Nichts erscheinende Hochrisikogebiete, neue Mutationen mit exponentiellem Wachstum und das mehr oder weniger große Verstehen, was dieses bedeutet. Wir haben erlebt und erleben politische Entscheidungen wie wechselnde Inzidenzgrenzen, die, wenigstens einmal festgelegt, dann lokal nicht umgesetzt werden; halbwahre und ganz unwahre Berichte über alles irgendwie mit Corona Zusammenhängende, von Masken bis zu Impfstoffen; eine brodelnde Masse von „News“ und „Eilmeldungen“ in sozialen Netzwerken und Medien jeder Art; nein, ich spreche nicht von „Verschwörungstheoretiker*innen“, sondern von unserem alltäglichen Nachrichtenkonsum. Wer gelernt hat, Quellen zu lesen, liest anders und sieht: eine Wissenschaft in Entwicklung, täglich neu auftauchende Fragen, Antworten und steilansteigende Kurven.

Ich habe kein Rezept für die dringend notwendige Behandlung dieses Zustandes, aber eins hat sich mir ganz klar eingeschrieben: Die immer komplizierter werdenden Informationen von Expertinnenseite müssen allen in verständlicher Weise kommuniziert werden; ich glaube, dass hier den Wissenschaftsjournalistinnen eine ganz wesentliche Stellung zukommt. Von denen gibt es, trotz einiger weniger leuchtender Beispiele, in der Breite ganz offensichtlich viel zu wenige. Das erhöht die Gefahr, dass komplizierte Sachverhalte einseitig, fehlerhaft oder gar gezielt irreführend in Medien großer Reichweite verbreitet werden.

Was ich also nach diesem Jahr Erfahrung gern ändern würde:

  • Den Beruf des Wissenschaftsjournalisten bekannter und attraktiver zu machen. Viel mehr Medien müssten sich jetzt darüber klar werden, dass Wissenschaft nichts für „nebenher“ sein darf und entsprechende Stellen schaffen, damit übersetzt werden kann, was nötig ist, um aufgrund von wissenschaftlichen Erkenntnissen zu entscheiden – in der Medizin sprechen wir von „evidenzbasiert“.
  • Die zweite Voraussetzung, um kluge Entscheidungen treffen zu können, ist nach der guten Information die kluge eigene Verarbeitung. Das einfache Wort denken ist hier durchaus angebracht. Kritisches Denken, nicht akutes Handeln aus irgendeiner einseitigen Interessenlage heraus. Betrachten wir unser Welt-Netz, in dem Grenzen für das Virus nicht existent sind, und es wird klar, dass alle nationalistischen und egozentrischen Entscheidungen nicht erfolgreich sein können.

Es ist so schlicht wie es klingt: nur gute Information und kritisches eigenes Denken führen zu einer klugen Abwägung und zu nachvollziehbaren politischen genauso wie individuellen Entscheidungen. Für die die „Verantwortung“ dann selbstverständlich bei uns allen liegt, aber eben besonders auch bei den durch uns gewählten Politiker*innen; der ausschließliche Appell an die Eigenverantwortung führt ja inzwischen nicht mehr zu Befriedigung und Stolz, sondern eher zu Wutreaktionen.

Ich sprach von meinem Traum letztes Jahr: “…. einer offenen Gesellschaft mit freien Individuen, die Entscheidungen auf informierter Basis treffen.“

Daran hat sich nichts geändert. Heute, ein Jahr später, würde ich aber die Notwendigkeit „besserer Information“ mehr betonen und zusätzlich die eines Rahmens, den Politik setzen muss und in dem jede:r Einzelne verantwortlich handeln kann. Eines Rahmens, bei dem es sich nicht um Freiheitsbeschränkung von Individuen handelt, sondern um eine „Straßenverkehrsordnung“, die mit roten Ampeln verhindert, dass die einzelnen Bürger*innen ihr Leben verlieren, danach aber niemandem vorschreibt, in welche Richtung er oder sie nach der grünen Ampel zu gehen hätten.

Es wird eine Zeit nach Corona geben und sie ist mit einigen Voraussetzungen bereits abzusehen. In dieser Zeit werden wir uns wieder um unser allgemeines Wohlergehen kümmern können, nicht nur um das gesundheitsbezogene. Wir sollten, müssen jetzt die Grundlagen dafür legen.

Lesen Sie auch unsere anderen #expertstatements

Weitere interessante Beiträge

Gastepisode von Carls Zukunft: Anja Mutschler auf der COP29

Ärmel hochkrempeln - das ist Anjas Einstellung, nachdem nun alles so ist, wie es die Apologeten des Untergangs prophezeit haben. Vielleicht sollten wir öfter mit blitzenden Augen voreinander stehen und...

#csr #kommunikation #nachhaltigkeit #transformation
18.11.2024 | 20blue

Kooperation in kollaborativ: wie Business-Partnerschaften gelingen

Werkstattbericht

Kooperation in kooperativ: Wie funktionieren gelungene Business-Partnerschaften im agilen Krisenzeitalter? Eine Bestandsaufnahme von Anja Mutschler, 20blue

#csr #kommunikation #kooperation #transformation
14.03.2024 | Anja Mutschler

Staffel 2, Folge 3: Dezentrales Erinnern und Denkmäler

In dieser Dezember-Ausgabe des 20blue-Podcasts spricht die aus dem Westen nach Leipzig gekommene Unternehmensgründerin Anja Mutschler mit einer Frau, die eine andere Geschichte hat: Gesine Oltmanns, Zeitzeugin und Mitgründerin der...

#geschichte #kultur #politik
12.12.2023 | Kristian Schulze

Staffel 2, Folge 2: Szenarioplanung

In der zweiten Folge der neuen 20blue-hour-Staffel hat Anja Mutschler Hanna Jürgensmeier zu Gast, Partnerin bei der ScMI AG – einer auf Zukunftsszenarien spezialisierten Beratung für Strategie und Innovationen.

01.12.2023 | 20blue

Wie positionieren sich Unternehmen international in unsicheren Zeiten?

Werkstattbericht

Unser White Paper stellt die wichtigsten Entwicklungen und Treiber im Bereich der Internationalisierung vor und erarbeitet die Fragen, die sich Unternehmen aktuell stellen sollten.

#internationalisierung
02.11.2023 | 20blue

Staffel 2, Folge 1: Shitstorms und Online-Kommunikation

Folge 1 der neuen Staffel beschäftigt sich mit Shitstorms und Online-Kommunikation, den Spezialthemen von Dr. Christian Salzborn.

02.11.2023 | 20blue

Über 20blue

Das Research Institute 20blue bringt Sie weiter! Wir sorgen seit 2011 mit wissenschaftlichen Insights und Methoden für den nötigen Durchblick. Unser Research Institute sichert Entscheidungen ab - dank 300 Expert*innen aus vielen Disziplinen, Branchen und Ländern. Ebenso vielfältig: unsere Kunden aus Wirtschaft und Politik. Im interdisziplinären Zusammenspiel entsteht neues Wissen auf dem Weg zur nachhaltigen Transformation.

Mehr erfahren