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Ein Jahr Corona: Wenn keiner mehr klatscht

Ein Beitrag von Christian Salzborn

Dr. Christian Salzborn entdeckte früh seine Leidenschaft für Kommunikation. Schon in der Schulzeit wie auch später im Studium der Medien- und Kommunikationswissenschaft war er journalistisch tätig.

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Veröffentlicht: 26.05.2021

Lesezeit: 4 Minuten

Letzte Änderung: 04.09.2023

Themen:

Schlagworte:

  • #corona
  • #expertennetzwerk
  • #kommunikation
  • #shitstorms

„In einer Phase der jammernden Selbstdarsteller und gemeinsamer Erfahrungen steckt großes Potential für die Zukunft unserer Gesellschaft. Denn diese besinnt sich, was wirklich wichtig ist: Gemeinschaft, Solidarität, funktionierende Strukturen und Anerkennung für all die, die unsere Gesellschaft zusammenhalten. Applaus!“ Ein Expert Statement von Dr. Christian Salzborn.

Als ich vor fast genau einem Jahr den ersten Beitrag zu Corona schrieb, wehten an vielen Bäumen die Zettel, die Hilfe für die Alten und Schwachen offerierten. Auf den Balkonen wurde dem medizinischen und Pflegepersonal geklatscht, so manches Land übte sich in kleinen Balkonkonzerten, um Solidarität und Gemeinschaft zu demonstrieren.

Heute klatscht keiner mehr. Die Musik ist verklungen. Ein Jahr nach Corona ist der Akku der Solidarität bei Vielen leer. Homeschooling, Homeoffice und dieses generelle „@Home“ die ganze Zeit, jeden Tag, zermürbt die Menschen. Ein Thema auch für die Medien. Sie versorgen uns täglich mit neusten Ideen der Politik, Einzelschicksalen und sich ständig ändernden Indizes. Sie tragen dazu bei, eine „existenzielle Unsicherheit global und gleichzeitig, und zwar in den Köpfen der medial vernetzen Individuen selbst“ (Habermas 2020) zu fördern. Die Unsicherheit ist ein steter Begleiter in allen gesellschaftlichen Strukturen geworden. Gefördert wird sie auch von einem monatelangen Schlingerkurs der Politik und Expert*innen, die sich selbst nicht immer einig sind. „So viel Wissen über unser Nichtwissen und über den Zwang, unter Unsicherheit handeln und leben zu müssen, gab es noch nie.“ (ebd.)

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Während sich Viele von Tag zu Tag hangeln, stets hoffend, dass sich alles irgendwann wieder zum Guten wendet, lassen andere ihrem Unmut freien Lauf. Das Netz als „Medium des Protestes“ (Salzborn 2017) fährt zu Hochform auf. Kreativ betitelt als „Corona-Hass“ und „digitales Gift“ (NZZ) oder als „Hate Speech in Coronazeiten“ (Spiegel) umschrieben. Der Hass wird auch auf die Straße getragen. Die Bilder zehntausender Demonstrierender in Kassel oder Stuttgart sind prägend. Der Hass erlangt eine „analoge Verlängerung“ in die reale Welt. Online und Offline hassen sozusagen parallel. Beide Welten befruchten sich dabei gegenseitig. Im Netz wird zu Demonstrationen aufgerufen und werden Protestbewegungen geplant. Der Hass auf der Straße führt zu neuen Themen und Bildern im Netz, die die Basis für neuen Hass und neue Hetze sind. Die ausufernde Form des Protestes ist gefährlich, denn im Netz kann niemand verprügelt werden, niemand wird verletzt, zumindest nicht physisch. Doch draußen auf der Straße richtet sich die Gewalt gegen alle anders Denkenden; die Polizei, Journalistinnen, Politikerinnen. Einer solchen Dimension Herr zu werden ist schwierig, denn man kämpft an der digitalen wie analogen Front.

Da wird schnell von einer „Gesellschaft unter Spannung“ gesprochen (Tagesspiegel 2020). Gar eine  Spaltung prognostiziert (Bertelsmann-Stiftung 2020). Dabei sind Herausforderungen wichtig, um sich als Gesellschaft selbst zu erkennen und die Bedeutung des Zusammenhaltes zu verstehen. Gesellschaften passen sich an und verändern sich. Im Laufe der Geschichte ein immer wiederkehrender Prozess (vgl. IKG 2020).

Corona hat viele Probleme und Schwachstellen der aktuellen Zeit wie ein Brennglas zutage gebracht. Schwächen in der Digitalisierung, im Gesundheits- und Bildungssystem, in den Abhängigkeiten von anderen Staaten, dem Föderalismus oder der deutschen Bürokratie. Sie hat dem Individuum ebenso gezeigt, wie einsam das Leben ohne die anderen ist.

Wir sind in den letzten Jahrzehnten eine Gesellschaft der Singularitäten und Selbstdarsteller*innen, Social Media sei Dank, geworden. Dies ist nun nicht mehr möglich, denn alle sitzen im selben Boot, erleben dieselben Auflagen und Regularien. „Genauso zu sein wie andere, sich nicht zu unterscheiden und einfach ganz normal betroffen zu sein von der Krise, wird für viele Menschen eine interessante, für manche auch durchaus verstörende Erfahrung sein, da es mit dem ihrem bisherigen Selbstbild, etwas Besonderes zu sein, kontrastiert“ (ebd.). Narzissten haben es gerade sehr schwer.

In einer solchen Phase der jammernden Selbstdarsteller*innen und gemeinsamer Erfahrungen steckt großes Potential für die Zukunft unserer Gesellschaft. Denn diese besinnt sich, was wirklich wichtig ist: Gemeinschaft, Solidarität, funktionierende Strukturen und Anerkennung für all die, die unsere Gesellschaft zusammenhalten.

Applaus!

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