Diversity Management: Hintergrund eines aktuellen Konzepts
Die Diversität am Arbeitsplatz nimmt zu. Und seit einigen Jahren gilt “Diversity” als Schlagwort, wenn es um Unternehmenserfolg geht. Gleichzeitig wird das Konzept kontrovers diskutiert. Und auch im Kontext Arbeitswelt sind viele Fragen offen: Was bedeutet Diversity in der Arbeitswelt? Was macht ein diverses Unternehmen aus? Herrscht in diversen Unternehmen automatisch Chancengleichheit? Wofür steht Diversity Management? Und wo steht Deutschland in Bezug auf Chancengleichheit am Arbeitsplatz? Ein kurzer Überblick.
Geschichte(n): Woher kommt „Diversity“?
Diversity erlebte in den letzten Jahren einen enormen Aufschwung. Dabei ist die Beschäftigung mit Vielfalt kein neues Phänomen, sondern hat eine lange, wissenschaftliche Tradition. Im Lauf der Geschichte änderten sich dabei, entlang gesellschaftlicher, politischer und wissenschaftlicher Entwicklungen nicht nur die Wahrnehmung von Vielfalt, sondern auch die Begrifflichkeiten. Vom ästhetischen Prinzip in der Antike über eine Abweichung von der Norm in christlichen Theorien hin zur Evolutionstheorie, als Ausgangspunkt für wissenschaftlichen Pluralismus und zu Diversität als Absage an Hegemonie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat das Konzept eine Reihe von Wandeln durchlaufen.
Während „Diversität“ in der Biologie, genauer in der Vegetationskunde schon um 1900 ein wissenschaftlich klar definierter Begriff war, war er in den Sozialwissenschaften lange Zeit nicht von Bedeutung, obwohl das Konzept selbst in vielen sozialwissenschaftlichen Theorien eine zentrale Rolle spielte, z. B. den Sozialen Systemen von Niklas Luhmann.
Bis der Begriff „Diversität“ über die Grenzen der Biologie hinaus populär wurde, dauerte es bis in die 1960er Jahre. Mit der Bürgerrechtsbewegung in den USA wurde „Diversity“ als Begriff und Konzept zum sozialen und politischen Thema.
Von Diversity zum Diversity Management
Die Anfänge von Diversity und Diversity Management verorten viele in der US-Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre. Doch auch hier gibt es nicht die eine, lineare Entwicklung, sondern verschiedene Strömungen. Prägend für den Ansatz und die Entwicklung hin zum Diversity Management sind vor allem vier Pionier*innen:
Als wichtigste Pionierin des Diversity-Ansatzes gilt Elsie Cross. Sie benennt die Bürgerrechtsbewegung als Ausgangspunkt: Anlass für Diversity waren die andauernde Diskriminierung von „women of color, men of color, white women, gays, lesbians, people with disabilities, older workers, younger workers, and others who are systematically excluded“ sowie die politischen Bewegungen gegen diese Diskriminierung. Diversity ist daher stark mit Affirmative Action verbunden und sollte sich, ihrer Ansicht nach, vorrangig mit den Unterschieden beschäftigen, die wirklich nachteilig wirken.
Roosevelt Thomas, Jr., ein weiterer Pionier des Ansatzes vertrat hier durchaus andere Ansichten. Er verortet den Beginn des Ansatzes erst in den 1980er Jahren. Diversity, bzw. Vielfalt umfasst für ihn sowohl die Unterschiede als auch die Gemeinsamkeiten innerhalb und zwischen Gruppen. Er kritisiert in seinem Artikel „From Affirmative Action to Affirming Diversity“ die Schwächen des Equal Employment Opportunity-Ansatzes und der bisherigen Maßnahmen. Dem Ansatz stellt er das Konzept des Managing Diversity gegenüber. Thomas verlagert den Diversity-Ansatz auf die wirtschaftliche Ebene und stellt insbesondere die Vorteile von Diversity von Unternehmen in den Vordergrund.
Marylin Loden, ebenfalls eine der Pionierin des Diversity-Ansatzes kam über das Thema Frauen im Management, wo sie unter anderem den Begriff „Glass Ceiling“ prägte, zum Diversity-Ansatz. Wie auch Thomas unterscheidet sie zwischen Equal Employment Opportunity und Managing Diversity: Während bei der Equal Employment Opportunity die Probleme im Vordergrund stehen und es nur aufgrund gesetzlicher Vorgaben erfüllt wird, ist Managing Diversity gewollt, weil Unternehmen die ökonomischen Vorteile und die Chancen von Diversity erkennen.
Taylor Cox, Jr., der vierte wichtiger Pionier des Diversity-Ansatzes sah den Wandel der Organisationskultur als Ziel von Diversity Management und definierte Kernpunkte einer multikulturellen Organisation. In einer multikulturellen Organisation:
- herrscht Pluralismus,
- sind die Beschäftigten strukturell vollständig integriert
- sind alle Beschäftigten in informelle Netzwerke integriert
- gibt es keine Vorurteile und Diskriminierung, bzw. werden diese abgebaut.
- Identifizieren sich alle Mitglieder mit der Organisation
- Gibt es kaum Konflikte zwischen Gruppen
Neben einer wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Konzept wagten viele Pioniere den Sprung in die Praxis und gründeten Agenturen zur Unternehmensberatung. Damit wurde Diversity bzw. Managing Diversity ein klares Konzept der Unternehmensberatung und der Betriebswirtschaftslehre.
Was ist Diversity (Management)? Definitionsansätze in Wissenschaft und Arbeitswelt in Deutschland
Aus den USA kam das Konzept der Diversity über große, transnationale US-Unternehmen nach Deutschland und etablierte sich zunächst im privatwirtschaftlichen Bereich. Erste wissenschaftliche deutsch-sprachige Publikationen gibt es seit Mitte der 1990er Jahre.
Auf wissenschaftlicher Ebene sind nach wie vor sind einige Fragen offen und gibt es Deutungskämpfe darüber, was Diversity ist und was über Diversity (Management) erreicht werden soll. Ein zentraler Streit ist dabei die Frage, ob Diversity als Gegenteil von Diskriminierung verstanden werden kann, d. h., ob es bei Diversity auch um Anti-Diskriminierung geht. Zentrale Kritik am Diversity-Ansatz kam u. a. aus den Gender Studies, die die stark betriebswirtschaftliche Ausrichtung als Gefahr für die Gleichstellung sahen, da der Ansatz, ihrer Auffassung nach, Machverhältnisse ausblendet, Gender marginalisiert und zweigeschlechtliche Denk- und Handlungsmuster reaktiviert.
An dieser wissenschaftlichen Diskussion wird deutlich, wie schwierig es ist, eine allgemeinakzeptierte Definition von „Diversity“ zu finden.
Nichtsdestotrotz gibt es Definitionen, die breiteren Konsens erfahren, insbesondere auch mit Blick auf die Verwendung des Konzeptes in der Arbeitswelt. Hier ist z. B. die Definition zu nennen, die die Charta der Vielfalt verbreitet. Demnach umfasst Diversity
- „[…] Gemeinsamkeiten und Unterschiedlichkeit der Belegschaft aufgrund individueller Persönlichkeitsmerkmale sowie Lebensstile und -entwürfe“
- „[…] sowohl sichtbare als auch unsichtbare Merkmale, die individuelle Sichtweisen, Perspektiven, Einstellungen und damit das Handeln von Menschen bedingen.“
Und Diversity Management „hat das Ziel, die Vielfalt der Belegschaft als Erfolgsfaktor erkennen, fördern, wertschätzen –und dadurch wirtschaftliche Erfolge steigern.“
Um welche Art von „Vielfalt“ es dabei geht, ist durch die Dimensionen der Vielfalt definiert. In Deutschland hat man sich inzwischen auf 7 Kerndimensionen geeinigt, die u. a. auch die Charta der Vielfalt abbildet:
- Alter
- Ethnische Herkunft & Nationalität
- Geschlecht & geschlechtliche Identität
- Körperliche & geistige Fähigkeiten
- Religion & Weltanschauung
- Sexuelle Orientierung
- Und seit kurzem: Soziale Herkunft
Diversity Management soll Inklusion und Chancengleichheit erreichen und Diskriminierung aufgrund dieser Merkmale verhindern.
Diversity am Arbeitsplatz: Wie ist die Situation in Deutschland?
Diskriminierung am Arbeitsplatz ist (spätestens) seit der Verabschiedung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 ein Thema im öffentlichen Bewusstsein. Seit 2006 hat die deutsche Gesetzgebung einiges vermocht, um die Gleichheit zwischen Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Genderequality in der Berufswelt ist aber nur im regulierten öffentlichen Dienst zur Norm geworden und strukturelle Ungleichheiten (und die Angst vor Diskriminierung) bestimmen nach wie vor den beruflichen Erfolg.
Zum Beispiel waren 2021 nur 29,2 % der Führungspositionen von Frauen besetzt. Verglichen mit anderen EU-Ländern liegt Deutschland damit im unteren Drittel. Eher alte, eher männliche, überwiegend weiße Netzwerke, die die Karrierechancen im Zweifel bis heute diktieren, werden sich nicht aus sich heraus verändern.
Laut einer Studie des DIW, des SOEPs und der Universität Bielefeld entspricht der Prozentsatz der LGBTQI*, die einer Beschäftigung nachgehen in etwa dem der übrigen Bevölkerung. Allerdings sind LGBTQI* meist höher qualifiziert und vermehrt in bestimmten Branchen tätig, wie zum Beispiel dem Gesundheits- und Sozialwesen. Die Studienautoren nehmen an, dass LGBTQI* eher Branchen wählen, in denen sie weniger Diskriminierung erfahren. Von Diskriminierung im Arbeitsleben berichten 29,7 % und ein Drittel der Befragten hatte sich aus Angst vor Diskriminierung im Job nicht geoutet.
In Hinblick auf die Frage des strukturellen Rassismus ist die Datenlage schwierig. Ein Migrationshintergrund wird in Agenturen für Arbeit und Jobcentern z. B. seit Mitte 2011 in freiwilliger Befragung, also nicht systematisch erhoben.
Auch ein journalistisches Projekt, an dem unser Head of Digital & Information Björn Berger beteiligt war, zeigt eindrucksvoll, welchen Einfluss eine von der cis-sexuellen Norm abweichende Biographie haben kann: weiblich sein, Migrant*in sein, homosexuell sein – all das sind Merkmale, aufgrund derer Menschen diskriminiert werden – auch in ihrem Arbeitsleben.
Und wie fragil die kleinen Errungenschaften in Sachen Gleichberechtigung sind, zeigte u. a. die Coronakrise: Fallen Betreuungsangebote weg und geht die Kinderbetreuung mit beruflichen und finanziellen Einbußen einher, fallen Familien in die traditionelle Rollenverteilung zurück. Schon vor der Pandemie arbeiteten Frauen durchschnittlich 5 Stunden pro Woche weniger als Männer in bezahlten Jobs. Diese Differenz vergrößerte sich während der Pandemie. In Haushalten mit betreuungsbedürftigen Kindern lag der Unterschied während der Pandemie bei 11 Stunden. Frauen waren in dieser Zeit diejenigen, die ihre bezahlte Arbeitszeit reduzierten und ihre unbezahlte Care-Arbeit erhöhten. Hintergrund sind oft auch ökonomische Überlegungen, da Familien nicht auf das oft höhere Gehalt des Mannes verzichten können. Die ohnehin bestehende Ungleichheit setzt sich damit fort und manifestiert sich.
Warum sich Unternehmen für Diversity einsetzen (sollten)
Mit der Entwicklung hin zu einem Arbeitnehmermarkt, in dem die Wünsche und Bedürfnisse der Arbeitnehmer*innen starke Berücksichtigung finden, rücken die Themen Diversity, Inklusion und Chancengleichheit und mit ihnen auch die strukturellen Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt in den Fokus.
Für Unternehmen sind es längst nicht mehr die gesetzlichen Vorgaben, die sie zu einem Umdenken zwingen. Wichtigere Treiber sind der demografische Wandel, der zunehmende Fachkräftemangel, die Globalisierung, die Digitalisierung, der Wandel von Werten und Einstellungen in der Gesellschaft, verbunden auch mit der Tatsache, dass gerade junge Arbeitnehmende Themen wie das Engagement gegen Rassismus, Sexismus und Diskriminierung wertschätzen und zunehmend auch von ihren Arbeitgebern fordern. Inklusion wird für Arbeitnehmer ein immer zentraleres Thema und kann über die Attraktivität eines Arbeitgebers entscheiden. Deutlich wird das z. B. in einer globalen Deloitte-Studie (2022) zu LGBTQI* und Inklusion am Arbeitsplatz: Hier sagten 80 % der Befragten aus, dass ihre Arbeitgeber bereits Inklusionsmaßnahmen durchführten und 95 % werteten dies als positiv.
Mit der – auch betriebswirtschaftlich notwendigen – Diversity in Unternehmen hat sich unsere Expertin Dr. Simone Burel in einem klugen Artikel auseinandergesetzt.
Schon die US-amerikanischen Pionier*innen versuchten, die (alten) weißen Manager zu Maßnahmen für mehr Diversity in ihren Unternehmen anzuregen, indem sie die wirtschaftlichen Vorteile hervorhoben. Seither wurden in zahlreichen Studien messbare Vorteile von Diversity in Unternehmen nachgewiesen. Im McKinsey Report Diversity wins: How inclusion matters kam finden sich z. B. folgende Ergebnisse:
Unternehmen mit über 30% Frauenanteil im Top-Management performen besser als Unternehmen mit 10 bis 30 % Frauenanteil im Top-Management. Und der Vergleich des Unternehmens mit der höchsten Gender Diversity und dem Unternehmen der niedrigsten Gender Diversity zeigte, die Leistung des ersten die des zweiten Unternehmens um 48% übertraf. Ebenso war die Leistung von Unternehmen mit hoher ethnischer und kultureller Diversität um 36 % höher als die der Unternehmen mit geringer ethnischer und kultureller Diversität. Dabei hat die ethnische und kulturelle Diversität einen höheren Einfluss auf die Unternehmensleistung als die Gender Diversity.
Als Argumente galten damals wie heute die Kosteneinsparungen, die Vorteile für das Personalmarketing, die Attraktivität für Investoren, die höhere Flexibilität diverser Unternehmen sowie die höhere Kreativität diverser Teams.
Diesen messbaren Vorteilen stehen immer wieder kritische Stimmen gegenüber, die gegenteiligen Effekte berichten. Meist liegt diesen eine unvollständig umgesetzte Diversity-Strategie zugrunde. Diversity im Unternehmen bedeutet mehr als „nur“ mehr Vielfalt in der Belegschaft und in der Führungsetage. Damit Diversity im Unternehmen zum Erfolg wird, müssen Unternehmen Strategien und Maßnahmen umsetzen, die echte Inklusion und Chancengleichheit gewährleisten. Das bedarf in der Regel auch einen Wandel des Mindsets. Es kommt auf das richtige Diversity Management an. Das ist harte, kontinuierliche Arbeit, die nicht ohne den Rückhalt der Geschäftsführung und der Belegschaft, und ausreichend Kapazitäten im Unternehmen funktioniert. Aber hat man diese Maßnahmen erstmal etabliert, profitieren am Ende alle.
Wie schwierig und langwierig Veränderungen sind, die auch im Verhalten und beim Wertesystem von Menschen Change abfordern, zeigen auch Transformationsdebatten bei anderen Themen. Divers arbeiten ist also zunächst vor allem eins: dranbleiben, auch wenn es Rückschläge gibt.
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