Digital Arbeiten: New Work durch Technologie oder Transformation?
Pioniere der New-Work-Bewegung sehen die Digitalisierung des Arbeitens als große Chance für besseres Arbeiten. Ist digital arbeiten wirklich anders? Oder arbeiten wir einfach nur mit neuen Tools und Workflows?
New Work ist eine alte Idee, die durch die digitale Transformation der Arbeitswelt an Fahrt aufgenommen hat. Auch uns als Research Institute beschäftigt das Thema schon länger, 2014 sind wir in einer Recherche dem Begriff hinter dem Megatrend New Work auf den Grund gegangen:
Der Begriff New Work stammt von dem Philosophen Frithjof Bergmann. Der Begriff ist Teil von Bergmanns Theorie aus dem Jahre 1984, welche eine echte New-Work-Bewegung begründet hat. Der Begriff New Work bezeichnet in Bergmanns Theorie eine bestimmte Art der Arbeit. Diese Art der Arbeit sehen die Arbeiter als sinnvoll an und wollen diese Arbeit wirklich erledigen. Diese Arbeit ist also keine unangenehme Tätigkeit, sondern ein Bedürfnis für die Arbeiter. Das Verständnis einer angenehmen, Spaß machenden und tiefst erfüllenden Arbeit wurde für die reale Arbeitswelt übernommen.
Hierbei wird jedoch ein theoretischer Fehler begangen.
Bergmanns Begriff ist in seine Theorie eingebettet. Wird der Begriff hieraus gelöst und für sich betrachtet, so verliert er prinzipiell seine Bedeutung. Dies kommt daher, dass New Work nur ein Teil der Theorie ist. Ein weiteres notwendiges Teil seiner Theorie ist, dass die normale Erwerbsarbeit auf ein Minimum reduziert wird. Durch die Minimierung dieser (eigentlichen) Arbeit bleibt mehr Zeit für (besseres) New Work. Frithjof ersetzt normale Arbeit also nicht durch New Work, sondern ergänzt sie.
Tools oder Transformation?
Die Geschichte des Begriffs New Work zeigt, dass es eigentlich nicht um einzelne Tools oder Aspekte geht, sondern es um eine ganzheitliche Transformation unseres Arbeitsbegriffs gehen sollte. Dennoch erleben wir immer wieder den Versuch, klassischen Formen von Arbeit einfach Technologien oder kleine Anpassungen überzustülpen, um sie als neue Formen der Arbeit zu verkaufen. Aber es ist nicht die digitale Projektmanagement-Software, die eine nachhaltige Veränderung in unserem Verständnis von Arbeit bewirkt, sondern ein Umdenken in Organisationen und Prozessen.
Fest steht aber auch: gerade radikal neue Tools können wichtige Katalysatoren für diese Veränderung sein und ihre Anwendung eine Disruption für unser Arbeitsleben – nicht immer ganz freiwillig sprechen wir dann über neue Arbeitswelten.
Automatisierung und Industrie 4.0, künstliche Intelligenz (KI) und Virtualisierung lassen alte Berufsbilder und damit einen traditionellen Begriff von Arbeit verschwinden: Maloche, und damit auch sinnferne Arbeit ist im öffentlichen Diskurs immer weniger präsent.
Nach der Automatisierung in der Produktion und Industrie, aber auch in Dienstleistungen und Geschäftsprozessen findet aktuell eine Automatisierung des Wissens durch Datenbanken und Algorithmen statt. Gleichzeitig erleben wir durch Large Language Models wie ChatGPT und Modellen der Bilderstellung wie Stable Diffusion erstmals eine ernsthafte Automatisierung im Bereich von Content- und Kreativ-Berufen.
Gerade dieser Bereich entwickelt sich aktuell sehr schnell und überrascht viele: ausgerechnet in Bereichen wie Brainstorming, vermeintlicher Kreativität und dem Gestalten von Dingen machen Algorithmen gerade größere Fortschritte als in der Automatisierung von logischer Analyse und Auswertung – hier halluzinieren die Sprachmodelle noch zu viel. Auch filigrane oder andere manuelle Arbeitsschritte in Produktionsprozessen werden an vielen Stellen weiter von Menschen durchgeführt: das Auslagern in Länder mit schlechten Arbeitsbedingungen ist für die meisten Konzerne wirtschaftlich günstiger, als sich um eine Transformation des Prozesses zu kümmern. Zynisch gesagt: das genaue Gegenteil vieler Utopie-Entwürfe aus der Science Fiction, in der die Menschen Gedichte schreiben und Bilder malen während sich Maschinen um zeitraubende und anstrengende Arbeiten kümmern.
Entwicklungen, die wir kritisch beobachten und richtig einordnen müssen. Auch für das digitale Arbeiten gilt: ob neue Technologien nur ein Hype sind oder zu nachhaltiger Transformation führen, lässt sich in den meisten Fällen erst mit etwas zeitlichem Abstand bewerten. Wie und wo wir neue Technologien in unsere Arbeit integrieren liegt schlussendlich bei uns. Richtig eingesetzt können sie sogar Fehlstellungen entgegenwirken und alte Strukturen in der Arbeits- und Wirtschaftslogik aufbrechen.
Von der alten Schule in den digitalen Alltag
Denn mit neuen Arbeitsformen durch neue Tools werden auch neue Lebensläufe möglich — als qualifiziert gelten plötzlich andere, partizipativ und transparent agierende, häufig jüngere Personen mit unorthodoxen Lebensläufen. Der (meist männliche) Chef von früher ist heute (gern auch female) Leader — eine Leitfigur, die Orientierung und Halt bietet, ohne autoritär zu agieren. Der Zusammenhang mit der digitalen Transformation, in der neue Tools und Prozesse in die Arbeitswelt Einzug hielten, ergibt sich durch die Folgen digitalen Arbeitens: Digitalisierung in der Arbeitswelt galt und gilt als Synonym für flexible, ermächtigende Strukturen — schließlich erlaubt die Technologie ein Leben jenseits der Stechuhr.
In einem Alltag, in dem die Abwesenheit von Digitalität einen eigenen Begriff bekommen hat (Digital Detox), heißt digital arbeiten aber auch: Leben und Arbeiten verschmelzen. Deshalb ist digital Arbeiten manchen Verheißung, manchen ein Fluch: Ermöglicht die digitale Arbeitswelt mehr Teilhabe, mehr sinnstiftende Tätigkeit? Oder sind wir Sklav*innen der Technologie und always on? Durch ständige Erreichbarkeit in Kommunikations-Apps oder während des abendlichen E-Mail-Lesens hat sich die Debatte vielleicht gar nicht so sehr geändert und wir haben nur die sichtbaren Kontrollinstrumente durch unsichtbare abgelöst.
Was heißt das also für die Zukunft des Arbeitsmarktes? Wird sich eine digitale Souveränität entwickeln, in der Arbeitnehmer*innen zunehmend selbst Wert und Beitrag ihrer Arbeit bestimmen, weil die Technologie ihnen erlaubt, ihre eigene Work-Life-Balance zu finden? Oder: Hat sich eigentlich nichts geändert, weil die Tools und Technologien nur neue Dichotomien zwischen Arbeitgeber*in und Arbeitnehmer*in verursachen, während die fließenden Übergänge zwischen Arbeit und Privatleben zu Stress oder Burn-Out führen?
Ereignisse wie die Corona-Pandemie zeigen, dass der Arbeitsmarkt stark von äußeren Einflüssen abhängt – wie viel Lust und wie viel Pflicht digital Arbeiten für die einzelnen Berufsgruppen bedeutet, hängt wesentlich auch von der wirtschaftlichen Gesamtstimmung ab.
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Expert Insight Alephverse
Meta, Cyber, Realtime erfahren seit dem Beginn der Coronapandemie eine unerwartete Konjunktur. Motiviert durch angepasste Förderkulissen entstehen neue virtuelle Räume zur Erinnerung, Visualisierung, Interaktion und Kommunikation. Mit 3D werden die Grenzen der Wahrnehmung neu gezogen. Raum und Zeit sind keine festen Größen mehr. Die digitale Revolution findet statt. VR, AR, Holospace sind neue digitale Ausdrucksformen des dreidimensionalen Denkens und Erkennens. Der Beitrag ALEPHVERSE führt von den Anfängen des dreidimensionalen Denkens im „Discours de la méthode“ durch die Wandlungen der Wahrnehmung der Wirklichkeit – von Descartes über Jacob Izaak van Ruisdael zu Luis Daguerre und von dort zu Max Klinger. Sie erhalten 10 Seiten (PDF)
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