Zum Hauptinhalt springen
Kontakt aufnehmen
Blog

Ohne Müll durchs Leben: Wie Zero Waste die Konsumwelt verändert

Ein Beitrag von Katharina Klug

Katharina Klug ist Professorin für Wirtschaftspsychologie mit Schwerpunkt Konsumpsychologie an der Hochschule Ansbach.

Mehr von Katharina Klug

Veröffentlicht: 18.02.2021

Lesezeit: 6 Minuten

Letzte Änderung: 26.09.2023

Schlagworte:

  • #csr
  • #nachhaltigkeit
  • #verpackung

Die Vermeidung von Müll ist höchst relevant für unsere Gesellschaft. Deshalb überdenken immer mehr Konsumenten ihren Lebens- und Konsumstil mit Blick auf Müllvermeidung, indem sie nachhaltige Konsumpraktiken adaptieren. Der Lebensstil des sogenannten Precycling zielt darauf ab, Müll aus Verpackungsmaterialien abzulehnen, den eigenen Konsum mengenmäßig auf das Nötige zu reduzieren und Güter konsequent wiederzuverwenden; ergo, dem vielzitierten 5R-Ansatz des Reject, Reduce, Reuse, Recycle and Repair zu folgen. Prof. Dr. Katharina Klug, Professorin für Marketing an der Fresenius Hochschule, Akademie für Mode & Design, forscht zu Precycling als post-modernem Konsum- und Lebensstil im Kontext von Zero-Waste und Circular Economy.

Precycling: Über Müll nachdenken, bevor er entsteht

Unsere Gesellschaft hat ein massives Müllproblem: Nahrungsmittelabfälle und ausrangierte oder defekte Produkte sowie Verpackungsmaterialien werden sich bis zum Jahr 2025 auf mehr als 6 Millionen Tonnen belaufen. Damit werden sie sich im Vergleich zum Jahr 2010 (3,5 Millionen Tonnen) mengenmäßig nahezu verdoppelt haben (Hoornweg et al., 2013). Beispielsweise verursacht ein:e einzelne:r Verbraucher:in in den USA täglich zwei Kilogramm Plastikmüll (Leahy, 2018). Der/die Durchschnittsdeutsche wirft pro Jahr etwa 85 kg Nahrungsmittel weg. Etwa ein Drittel davon wäre vermeidbar (ReFoWas 2019).

Während Regierungen auf nationaler und internationaler Ebene im Top-down-Prinzip Verordnungen zur Reduktion von Plastik erlassen, entwickeln sich auf Verbraucherebene post-moderne Konsumstile, die einen verantwortungsvollen und langfristig orientierten (nachhaltigeren) Umgang mit Gütern zeigen. Unter diesen Konsumstilen tritt das sogenannte Precycling in den Vordergrund, das eine konsequente Müllvermeidung propagiert. Precycler treffen ihre Konsumentscheidungen danach, inwieweit dadurch Abfall entsteht: Sie denken über (Verpackungs-)Müll nach, bevor er entsteht. Precycler favorisieren unverpackte Produkte oder verweigern den Kauf extensiv verpackter Güter. Beispielsweise erledigen sie ihren Lebensmitteleinkauf bevorzugt in Unverpacktläden, in Hofläden oder auf Wochenmärkten. Zum Verpacken der Produkte bringen sie ihre eigenen Gefäße und Behälter mit. Auf diese Weise tragen Precycler zur Zielsetzung der Müllvermeidung bei, die im Konzept der Circular Economy derzeit zunehmend Gehör findet. Das Konzept der Kreislaufwirtschaft reicht zurück bis in die 1960er Jahre als Kenneth Boulding es als langfristig-orientierten Ansatz beschreibt, der ökonomisches Wachstum, Nachhaltigkeit und Zero Waste verfolgt (Greyson, 2007). 1988 verwendete die Marketingexpertin Maureen O’Rorke erstmals den griffigen Precycling-Begriff, um mehr mediale Aufmerksamkeit des Kreislauf-Ansatzes mit Blick auf dessen Zero Waste-Zielsetzung zu erreichen. Demnach ist Zero Waste das übergeordnete Ziel und Precycling die konkrete Lebensführung, um dieses Ziel zu erreichen. Precyclern geht es um das Vermeiden von Müll; ihn also gar nicht erst entstehen zu lassen, anstatt ihn später (nachhaltig) aufzuarbeiten.

Die Charakteristika von Precyclern

Precycling basiert auf dem Prinzip der „third generation of humanity“ (Bartl, 2014; Palmer, 2009). Während sich die erste und zweite Generation auf unverzügliche Bedürfnisbefriedigung durch Konsum bzw. kurzzeitorientierte Ziele (Recycling des entstandenen Mülls) ausgerichtet hat, fokussiert sich die dritte Generation auf die Langzeitperspektive (Müllvermeidung zum Umwelt- und Ressourcenschutz). In dieser dritten, post-modernen Generation agieren Precycler. Sie zielen mit systematischer Müllvermeidung auf nachhaltige Nutzung und Schutz verfügbarer Ressourcen ab und sind auf Langfristigkeit und Langlebigkeit ausgerichtet. Umweltorientierung sowie Sparsamkeit sind hierbei zentral, um das eigene (Konsum-) Leben verantwortungsvoll zu gestalten. Denn Umweltbewusstsein und Langzeit-/Zukunftsorientierung erfordern den sparsamen Umgang mit knappen Ressourcen. Hierzu zählen Precycler sowohl den Umgang mit Energie und Rohstoffen als auch mit den eigenen, verfügbaren Finanzmitteln. Sparsamkeit ist dabei die Eigenschaft einer Person, wie auch die Konsumzurückhaltung und einfallsreicher Umgang mit Gütern, um langfristige Ziele zu erreichen. Ebenso wie sparsame Verbraucher*innen tendieren Precycler dazu, verfügbare Ressourcen immer wieder zu verwenden und die Menge der „notwendigen“ Dinge im täglichen Leben auf das Wesentliche zu reduzieren.

Die dritte Auflage unseres Research Papers AUSGEPACKT: Mythencheck nachhaltige Verpackungsmaterialien ist erschienen.

Research Paper: Ein wissenschaftlich fundierter, zugleich anwendungsbezogener Einblick in aktuelle Debatten. Wir nehmen Makro- und Mikrotrends unter die Lupe, prüfen die Fakten und entwickeln mit interdisziplinärem Blick praktikable und stimmige Lösungswege.

Precycling erfordert eine kontextbezogene Reflexion über eine bevorstehende (Kauf-)Entscheidung. Daher agieren Precycler äußerst aufmerksam und achtsam in ihrem Konsumverhalten. Diese Achtsamkeit ist das Gegenteil von impulsiven, fremdgesteuerten Entscheidungen zur kurzfristigen Bedürfnisbefriedigung. Reflexion und Nachdenken über die eigene Konsumentscheidung erfordert Zeit. Daher sind Precycler nicht selten auf bewusst entschleunigte Lebens- und Konsummomente bedacht, was die Minimierung von Müll, den Verzicht auf Konsum sowie die konsequente Mehrweg-/Mehrfachnutzung von Produkten beinhaltet (Lubowiecki-Vikuk et al., 2021, S. 97). Ebenso wie Slow Life Seeker als Anhänger*innen eines entschleunigten Lebens, entscheiden Precycler deshalb sehr bewusst und bedenken die Konsequenzen ihres Konsums. Sie sind in der Lage, achtsam einen nachhaltigen Konsum in ihr Leben zu integrieren, indem sie möglichst rückstandslos konsumieren.

In letzter Instanz ist Precycling mit Konsumzurückhaltung assoziiert, dem vielzitierten Minimalismus. Motive hierfür liegen in einer geringen Orientierung an materiellem Besitz und dem Wunsch nach Unabhängigkeit (Hüttel et al., 2020). Kurzum, Precycler verzichten auf Materielles wie überflüssiges (Verpackungs-)Material, um ihre eigenen Besitztümer zu „entrümpeln“ und sich freier und unabhängig bewegen zu können. Das individuelle Wohlbefinden erscheint Precyclern als erstrebenswertes Ziel dann erreichbar, wenn sie insgesamt weniger konsumieren, weniger besitzen und sich damit weniger abhängig und fremdbestimmt fühlen.

Zusammenfassend lässt sich festhalten: zentrale Ankerpunkte des Precycling- bzw. Zero Waste-Gedanken sind Verantwortungsbewusstsein, ein reflektierter und achtsamer Umgang mit sich selbst und verfügbaren Ressourcen sowie der bewusste (Konsum-)Verzicht.

Für Unternehmen, oder auch zum Selbst-Check, liegt die Herausforderung darin, das Precyclingverhalten praktikabel und valide erfassen zu können. Für die unkomplizierte Identifikation von Precyclern schlagen Klug/Niemand (2021) deshalb folgende fünf Fragen vor, deren Zustimmungswerte Auskunft darüber geben, wie stark die befragte Person zum Precycling tendiert bzw. davon abweicht.

Beantworten Sie die Fragen auf einer Skala von „1 – trifft überhaupt nicht zu“ bis „7 – trifft vollkommen zu“.

Fazit

Seit einigen Dekaden bewerten Wissenschaftlerinnen, Managerinnen und Politiker*innen einen nachhaltig(er)en Konsum als entscheidend und höchst relevant für eine moderne Gesellschaft (Lim 2017). Dringender denn je sind wir damit konfrontiert, langfristig orientierte Konsumpraktiken zu etablieren, die Mitverantwortung und kluge Lebensführung vereinen. Dieser Beitrag demonstriert, wie sich der Zero Waste-Ansatz als post-moderner Lebens- und Konsumstil in Form von Precycling dem Ziel der Müllvermeidung ganz praktisch nähern kann. Er führt vor Augen, dass das Müllproblem (besser) lösbar ist, wenn wir Müll gar nicht erst entstehen lassen. Während ein NULL Müll-Ansatz in der Kreislaufwirtschaft nach Utopie und wenig alltagstauglich klingt, repräsentiert Precycling ein nachhaltiges Konsumverhalten, das ganz praktisch zu WENIGER Müll beitragen kann. Bevor wir also vor utopischen Zielen resignieren, fangen wir doch einfach an – Jetzt! Es ist dabei entscheidend, dass sich jede:r Einzelne bewusst macht, welchen (kleinen) Teil er/sie beitragen kann. Denn wenn alle ein bisschen tun, ist das schon eine Menge!

Weiterführende Literatur:

Klug, K.; Niemand, T. (2018): The Lifestyle of Precycling: Measuring and Evaluating a new Form of Anti-Consumption, Proceedings of the ICAR-Symposium 2018, Nov 9-10. Almería-Spain, 128-134.

Klug, K. (2018): Precycling: Bevor Müll entsteht. In K. Klug, Vom Nischentrend zum Lebensstil – Der Einfluss des Lebensgefühls auf das Konsumentenverhalten, Wiesbaden: Springer, 59-68.

Klug, K.; Niemand, T. (2021): The Lifestyle of Sustainability: Testing a Behavioral Measure of Precycling, Journal of Cleaner Production, forthcoming.

Über 20blue

Das Research Institute 20blue bringt Sie weiter! Wir sorgen seit 2011 mit wissenschaftlichen Insights und Methoden für den nötigen Durchblick. Unser Research Institute sichert Entscheidungen ab - dank 300 Expert*innen aus vielen Disziplinen, Branchen und Ländern. Ebenso vielfältig: unsere Kunden aus Wirtschaft und Politik. Im interdisziplinären Zusammenspiel entsteht neues Wissen auf dem Weg zur nachhaltigen Transformation.

Mehr erfahren