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Biokunststoffe – ein Begriff, drei Möglichkeiten

Ein Beitrag von Kerstin Hermuth-Kleinschmidt

Dr. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt, Diplom-Chemikerin und promovierte Mikrobiologin, selbständige Beraterin und Dozentin am Karlsruher Institut für Technologie.

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Veröffentlicht: 16.11.2020

Lesezeit: 8 Minuten

Letzte Änderung: 26.09.2023

Schlagworte:

  • #nachhaltigkeit
  • #transformation
  • #verpackung

„Biokunststoffe“ oder „Bioplastik“ werden im Kontext von Bioökonomie und Kreislaufwirtschaft als Alternativen für die aus Erdöl hergestellten Kunststoffe gehandelt. Das hat auch seine Berechtigung und es werden zurecht große Hoffnungen in diesen Teilbereich der Bioökonomie gesetzt. Denn er kann im Rahmen der Kreislaufwirtschaft einen wichtigen Beitrag leisten, unsere Wirtschaft auf eine fossilfreie Basis zu stellen. Aber der Teufel steckt im Detail – hier in der Rohstoffbasis und der Frage, was genau am Biokunststoff „Bio“ ist. Ein Beitrag von Kerstin Hermuth-Kleinschmidt.

1. Klarheit ins Begriffswirrwarr bringen

Mit dem Begriff „Biokunststoffe“ verbinden die meisten wahrscheinlich die Vorstellungvon „Kunststoffen“, die aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt und nach ihrer Nutzung problemlos in den natürlichen Kreislauf zurückgeführt werden können. So wie man es beim Kompostieren von Küchenabfällen sieht, die am Ende wieder zu Erde werden. Zudem suggeriert die Vorsilbe „Bio“ eine Umweltverträglichkeit, die so nicht gegeben ist. Hinter dem einen Begriff verbergen sich drei Möglichkeiten: a) biobasiert, aber nicht bioabbaubar, b) bioabbaubar, aber nicht biobasiert, c) biobasiert und bioabbaubar. Hier im Folgenden vorgestellt.

a) Biobasierte, aber nicht bioabbaubare Kunststoffe

Materialien dieser Kategorie werden aus erneuerbaren Rohstoffen ganz oder teilweise hergestellt, können aber in der Umwelt nicht abgebaut werden. Unter diesen auch als „Drop-In-Kunststoffe“ bekannten Materialien versteht man konventionelle Kunststoffe, die auf der Basis von achwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Beispiele sind Bio-PE (Bio-Polyethylen) oder Bio-PET (Bio-Polyethylenterephtalat). Ihre chemische Struktur unterscheidet sich nicht von den konventionellen Kunststoffen, weshalb für die Verarbeitung die gleichen Maschinen und Verfahren eingesetzt werden können wie für die konventionellen Kunststoffe. Sie machen fast die Hälfte der biobasierten Kunststoffe aus. 

Der biobasierte Anteil der Drop-In-Kunststoffe kann zwischen 20% und bis zu 100% schwanken. Wie hoch dieser ist, kann über den 14C-Gehalt, eine, in der amerikanischen Norm ASTM D6866 beschriebene und festgelegte Methode, genau bestimmt werden. Zertifikate, wie das „OK biobased – Logo“ von Vincotte oder das DIN-Prüfzeichen „biobasiert“, vergeben von DIN CERTCO, geben Auskunft über den biobasierten Anteil im zertifizierten Produkt. Das „USDA certified biobased product“-Logo ist das US-amerikanische Pendant und gibt ebenfalls an, wie hoch der Anteil an biobasiertem Rohstoff in einem danach zertifizierten Produkt ist.

b) Bioabbaubare, aber nicht biobasierte Kunststoffe 

Ein Stoff ist bioabbaubar, wenn er durch Einwirkung von Mikroorganismen zu Wasser, Kohlendioxid und Biomasse abgebaut wird. Dieser Prozess kann in der Umwelt, abhängig von Temperatur und Umgebung, sehr lange dauern. Auch ein Baum ist bioabbaubar. Daher sollte die prinzipiell mögliche Bioabbaubarkeit nicht 

dazu verleiten, ein solches Material einfach in der freien Natur zu „entsorgen“ –außer es ist explizit vorgesehen, wie bei den Folien von Spülmaschinentabs aus Polyvinylalkohol (PVAL). Diese lösen sich im Wasser und können dann relativ schnell abgebaut werden. PVAL wird aber aus Erdöl –und damit einem nicht-erneuerbaren Rohstoff –hergestellt. Das Beispiel zeigt: Bioabbaubarkeit sagt nichts darüber aus, ob ein Kunststoff auf erneuerbaren oder nicht-erneuerbaren Ressourcen basiert.

c) Biobasiert und bioabbaubar 

Die mögliche Bioabbaubarkeit bezieht sich vielmehr auf die industrielle Verwertung. Dabei ist zwischen der industriellen Kompostierung und der Vergärung zu unterscheiden. 

Die Kompostierung ist ein Sonderfall der Bioabbaubarkeit. Sie beschreibt den Abbau unter definierten Bedingungen. Im Fall der industriellen Kompostierung müssen Stoffe unter standardisierten Bedingungen innerhalb von 6 –12 Wochen zu mindestens 90% abgebaut sein. Die genauen Bedingungen werden durch die DIN EN 13432 beschrieben. Für die heimische Kompostierung gelten andere Bedingungen –hierfür eignen sich nur Produkte, die bei unter 30°C und innerhalb eines Jahres fast vollständig abgebaut werden. Diese Kunststoffe erkennt man an Logos, wie dem „OK-Compost-Logo“ von Vincotteo der das Logo von DIN CERTCO für die Gartenkompostierbarkeit.

Bei der Vergärung wird biogenes Material anaerob, das heißt unter Ausschluss von Sauerstoff, abgebaut. Dabei steht unter anderem Methan („Biogas“), welches energetisch genutzt werden kann. Die Meinungen darüber, wie sinnvoll diese Art der Verwertung ist, variieren. Generell wird sie aber nur in bestimmten Kontexten als sinnvoll erachtet, wie beispielsweise bei der Entsorgung von Bioabfällen gemeinsam mit bioabbaubaren Kunststoffen bzw. von Produkten, die mit Essensresten verunreinigt sind, wie Einweggeschirr, die für ein wertstoffliches Recycling nicht mehr genutzt werden können. In Italien wurde eine entsprechende Verwertungsinfrastruktur für biologisch abbaubare Kunststoffe aufgebaut, die alle nach EN 13432 zertifiziert sein müssen, und entweder industriell kompostiert oder vergärt werden. Dadurch wurde das Ziel, die nachhaltige Verwertung von Bioabfällen zu erhöhen, angestrebt und auch erreicht.

Die dritte Auflage unseres Research Papers AUSGEPACKT: Mythencheck nachhaltige Verpackungsmaterialien ist erschienen.

2. Wiederverwertung und Recycling statt Bioabbaubarkeit

In Ländern mit einer gut ausgebauten Recyclingstruktur sollte bei den biobasierten Kunststoffen die Bioabbaubarkeit zunächst einmal nicht im Vordergrund stehen, sondern deren Recyclingfähigkeit. Schließlich soll im Sinne einer Kreislaufwirtschaft das Material, auch wenn es aus erneuerbaren Quellen ist, wiederverwendet werden. Schließlich wurden, wie man an der Lebenszyklusanalyse sieht, Ressourcen für die Herstellung und Produktion eingesetzt. Die Recyclingfähigkeit dieser neuartigen Kunststoffe ist prinzipiell in vielen Fällen gegeben, allerdings hapert es an der Wirtschaftlichkeit. Es gibt schlichtweg noch zu wenig biobasierte Materialien als dass sich für diese ein eigenes Recyclingsystem lohnen würde. Selbst für PLA, dem am häufigsten eingesetzte Biokunststoff, lohnt sich ein eigenes Verwertungssystem (noch) nicht. Gleichzeitig braucht es ein kreislauffähiges Design von Anfang an – in Bezug auf das Produkt wie auf das eingesetzte Material. Dies bedeutet beispielsweise eine Auswahl geeigneter Materialkombinationen kombiniert mit einem Produktdesign, das eine gute Auftrennung der Einzelkomponenten und damit Rückführung in den Recyclingstrom erlaubt. 

3. Die Rohstoffbasis nachhaltig gestalten

Die wichtigsten Rohstoffe für biobasierte Kunststoffe aus erneuerbaren Quellen sind momentan Zuckerrohr (ca. 50%), Mais (26%) sowie Weizenstärke (5%) und Rizinusöl (5%). Für deren Anbau wird zwar Fläche verbraucht, dies wird aber momentan aufgrund des geringen Anteils an der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche als weniger problematisch gesehen. Es sind vor allem die Anbaubedingungen, noch dazu wenn diese in Monokultur erfolgen, die nicht für den Einsatz nachwachsender Rohstoffe sprechen. 

Starker Pestizideinsatz wegen der schädlingsanfälligen Monokulturen, Bodenverdichtung und vor allem extremer Wasserverbrauch schlagen hier negativ zu Buche. Dazu kommt als weitere, negative Umweltauswirkung die Eutrophierung dazu, das heißt die übermäßige Nährstoffanreicherung in Böden und Gewässern durch Düngung. Vergleicht man heute biobasierte und fossile Kunststoffe, so halten sie sich in Bezug auf ihre Umweltauswirkungen die Waage. Allerdings ist bei den biobasierten Materialien noch Luft nach oben und an Alternativen fehlt es nicht: Eine erste Alternative ist der Anbau auf sonst nichtgenutzten Flächen (wie Ausgleichsflächen). Es wird aber an weiteren Rohstoffquellen geforscht. Als „zweite Generation“ werden landwirtschaftliche oder industrielle Abfälle bzw. Abwässer verstanden. Die sogenannte „dritte Generation“ nutzt Algen oder bestimmte Mikroorganismen, die CO2 verwerten und zu Biokunststoffen bzw. Vorläufern umwandeln können.  Die „vierte Generation“ nutzt ebenfalls, nutzt aber den direkten chemischen Weg, wie die direkte, katalytische Umsetzung mit H2 zu verschiedenen Produkten wie Methan oder Ethanol, die als Ausgangsprodukte für weitere Materialien dienen können.

4. Im Fokus: Die Materialeigenschaften

Neben der Kreislauffähigkeit, die übrigens für alle Materialien im Fokus stehen sollte, müssen biobasierte Kunststoffe zunächst einmal für ihren Einsatz geeignet sein: Sie müssen Lebensmittel ausreichend und sicher vor äußeren Einflüssen schützen und möglichst lange frisch halten. Eine Studie des ifeu–Institut für Energie-und Umweltforschung Heidelberg aus dem Jahr 2018 hat den möglichen Einsatz von biobasierten Kunststoffen sehr umfassend untersucht und sich dabei auch mit deren Materialeigenschaften beschäftigt.

Biobasierte Kunststoffe zeigen demnach ähnliche mechanische Eigenschaften wie fossilbasierte Kunststoffe in puncto Steifigkeit und Zugfestigkeit. Durch Zugabe von Additiven können diese Eigenschaften, wie bei allen Kunststoffen, weiter verändert werden. Auch durch die Herstellung von Blends, das heißt durch Mischung verschiedener Polymere, können Materialeigenschaften verändert und die gewünschten Eigenschaften erzeugt werden. Solche Blends aus PLA, PA und PHA, die in Bezug auf die mechanischen Eigenschaften ein breites Spektrum, von sehr flexibel bis sehr steif, erfüllen können, übertreffen teilweise sogar die Eigenschaften der gängigen erdölbasierten Kunststoffe. Betrachtet man die Barrierewirkungen, haben biobasierte Kunststoffe wie PLA oder PHA im Vergleich zu den fossilbasierten Kunststoffen PP, PE oder PS eine geringere Sauerstoffdurchlässigkeit. Werden sauerstoffempfindliche Lebensmittel verpackt, kann man also sehr gut auf biobasierte Neuentwicklungen zurückgreifen. Konventionelle Kunststoffe müssen für diese Verwendung oftmals mit einer zusätzlichen Barriere beschichtet werden, um vergleichbare Eigenschaften zu erhalten. In Bezug auf die Barrierewirkung gegenüber Wasserdampf ist das Bild umgekehrt. Hier zeigen PLA, PHA usw. eine geringe Barrierewirkung, mit Ausnahme von Polyethylenfuranoat (PEF) und es muss mit Beschichtungen gearbeitet werden, um die gewünschte Barrierefunktion zu erreichen. Für die unter Umständen benötigten Beschichtungen, kommen je nach zu beschichtendem Kunststoff verschiedene biobasierte Kunststoffe infrage, z.B. für PLA die biobasierten Kunststoffe Polybutylensuccinat (PBS) oder Polyhydroxyalkanoate (PHA), Polyester sowie die kommerziell verfügbaren Ecovio oder Mater-Bi-Materialien. Typische Kompositmaterialien, die für biobasierte Kunststoffe eingesetzt werden, sind Polysaccharide, die für die Änderung der Eigenschaften von PLA eingesetzt werden oder Polybutylensuccinat (PBS). Polypropylencarbonate und Polyvinylalkohole werden aufgrund ihrer Bioabbaubarkeit zwar ebenfalls als Beschichtungen eingesetzt, haben aber den Nachteil, dass sie aus fossilen Quellen hergestellt werden. Je nach Anwendung ist die Wasserdampfdurchlässigkeit aber auch erwünscht (beispielsweise bei Käse) und in diesem Fall stellen PLA und Co. wiederum gute Alternativen dar.

Wohin geht die Reise?

Um biobasierten Kunststoffen noch mehr zum Durchbruch zu verhelfen, braucht es einen umfassenden Ansatz. Ein wichtiger Baustein ist dabei die Rohstoffquelle. Die Suche nach alternativen zu nachwachsenden Rohstoffen geht voran und es kommen immer wieder neue Meldungen von Forschungsgruppen, die zum Beispiel aus Bioabfällen Schaumstoffe herstellen. Dies macht Hoffnung, dass wir in Zukunft zu einer echten Kreislaufwirtschaft kommen, in der Abfall als Nährstoff für andere Prozesse gesehen wird.

Im März 2022 erscheint die dritte Auflage unseres Research Papers “AUSGEPACKT: Mythencheck nachhaltige Verpackungsmaterialien”.

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