My persons of interest
Person of Interest: welche Art von Kunde passt eigentlich zu 20blue? Anja Mutschler skizziert ihren optimalen Kunden für wissenschaftliche Beratung und erklärt, mit wem wir lieber nicht zusammenarbeiten.
Warum es wichtig ist, dass die Zielgruppe zum Unternehmen passt und nicht umgekehrt. Und warum das nichts mit Hochmut zu tun hat.
Ok, 20blue – Research Institute ist kein normaler (amorpher) Dienstleister. Grundthese meiner Neuausrichtung 2019 war, dass „Objektivität zur Haltung“ geworden ist, vor dem Hintergrund eines lärmenden US-Präsidenten und seiner global agierenden Kombattanten, die Lüge und Wahrheit zu einem toxischen Wirklichkeitsgebräu verwandelt hatten. „Quellen? Ach, ich schreib dir schnell eine.“
Wissenschaftliche Objektivität als Grundlage anzuerkennen, ist das Kriterium No 1️⃣, um überhaupt über ein potentielles Projekt ins Gespräch zu kommen. Es geht uns dabei nicht um die blutleere Behauptung, dass nur die Wissenschaft dies und jenes vermöge. Die Wirklichkeit ist immer – immer! – ein Spannungsfeld zwischen dem Möglichen (Laborbedingung, Theorie) und dem Tatsächlichen (Welt, Praxis). Deshalb irrt die Wissenschaft mit Voraussagen bisweilen, und deshalb arbeiten wir grundsätzlich inter- besser multidisziplinär. (Hier ausführlicher dazu). Aber die Wissenschaft bietet eine fantastische Systematik zur Wirklichkeitserkennung, eine Möglichkeit, verschiedene Datenquellen (Text, Gespräch, Tat) übereinander zu legen und auf dieser Grundlage zu validen Empfehlungen zu gelangen, die Entrüstungsstürmen, Fieslingen und Populismus vermögen standzuhalten.
Das erste Kriterium: nur mit wissenschaftsoffenen Personen zu arbeiten, ist also klar. Und das bekommen wir über unsere Webseite und die vielen Inhalte im Newsroom, die wir in verschiedenen Newslettern und auf Social Media ausspielen, gut in den Griff. In der Tat erhalten wir nur noch selten Pseudo-Anfragen, super, das spart Zeit!
Das Kriterium No 2️⃣ ist etwas kniffliger: Akzeptiert unsere Person of Interest (ich meins wirklich nett, wir interessieren uns für Sie, weil Sie sich für uns interessieren, aber der Gag ist durchaus gewollt, und die Serie ist ja auch ganz lustig), dass neue Erkenntnisse ihr Projekt verändern können? Nicht nur die – heimliche – Meinung, nein, dafür fließt zu viel Geld. Sondern die Entscheidung, die Strategien. Und zwar bisweilen disruptiv. Ich muss wissen wollen.
Das Etikett: „Ich habe das geprüft“, ist nicht das gleiche wie „Ich habe das geprüft und bin zu folgenden Einsichten gelangt“. Leider bedeutet Wissensgesellschaft häufig nur, das Wissen zu identifizieren, das für die Sache nützlich ist.
Das gilt nicht nur für Personen in Wirtschaft und Politik, auch in der Wissenschaft gibt es mitunter die Tendenz, zu aktivistisch mit Wissen umzugehen. Dabei ist die stete Selbsthinterfragung für mich eins der wichtigsten Prinzipien wissenschaftlichen Fortschritts (die derzeit heiß diskutierte „neue“ Kernfusion korrigiert etwa die Fehler der atomaren „alten“ Kernkraft).
Ich würde sagen, rund 50% der Anfragen an 20blue verlaufen sich bei diesem klärenden Gespräch im Sande. Wir merken das z.B. daran, dass jemand „einfach nur ein Angebot“ möchte, wir also ein Wissensabfrageautomat sind, Geld rein, Fakten raus. Geht auch, aber selbst bei einem „Check“ kann passieren, dass man danach richtig was ändern muss. Oder wir sprechen viel über das „gewünschte“ Ergebnis, und unser Einwand dazu verhallt unerkannt. Er lautet:
Wir finden nur heraus, ob etwas so ist, nicht, dass etwas so ist.
Einen Satz, den ich vor einigen Jahren entwickelt habe, nachdem eine große Unternehmensberatung solange an der Forschungsfrage herumgebastelt hat, dass man unmöglich noch wissenschaftliche Studie zum Ergebnis sagen konnte. Hat natürlich auch nicht geklappt, und als Unternehmerin hält sich das gute Gefühl über einen schlechten Auftrag mit der Tatsache von „kein“ Auftrag zugegebenermaßen sehr in Grenzen. Aber ich behaupte: biegen wir hier zu oft falsch ab, können wir den Laden dichtmachen. Denn kein ernsthafter Wissenschaftler, keine gefragte Wissenschaftlerin stellt ihre Kompetenz und Zeit für schmierige Auftragsforschung zur Verfügung.
Das Interessante dabei ist: Wenn Sie sich melden, wissen die meisten im Grunde, dass der eingeschlagene Weg verkehrt ist. Wir zertifizieren im Grunde nur noch Irrwege, oder bestätigen die Richtigkeit des vorgeschlagenen neuen. Denn ein fachliches Störgefühl, ein häufiger Anrufgrund bei uns, ist häufig richtig. Warum? Das Bauchgefühl, das sind gesammelte Erkenntnisse, implizites Wissen, Lebenserfahrung, aufgeschnappte Wortfetzen, überflogene Texte, nebenbei gesehene Dokus, Irritation. Man weiß „intuitiv“, da stimmt was nicht, da ist was nicht rund. In ihrem Themen-/Fachgebiet ist das dann kein esoterischer Zustand, sondern klug. Das Bauchgefühl sagt: da muss man nochmal drüber NACHDENKEN. Wissen in Struktur zu bringen, das bringt Klarheit. In der Praxis fehlen dazu oft die Grundlagen, Mittel oder Ressourcen. Das Bauchgefühl gibt es übrigens auch im B2B-Bereich, individuell oder kollektiv erlitten: Wenn ein Projekt stockt, man noch ne Runde und noch ein Meeting dazu abhält, etwa. Oder wenn einer versucht, die Umsetzung einer Kampagne zu verhindern. Oder seltsamerweise plötzlich das Budget fehlt. Dann stimmt was noch nicht.
Und man muss noch mal genauer hinschauen. Dieses genauer hinsehen, ist oft mit Angst verbunden: Zeit verschwendet, Fehler gemacht, man hätte es besser wissen müssen, Scham, Pein, Notlüge. 😱
Wenn uns das Zeitalter der KI jetzt schon eines lehrt: IMMER auf dem Laufenden zu sein, selbst in seinem noch so kleinen Fachgebiet, ist sehr, sehr, sehr schwierig. Eine KI liest mehr Daten aus, als wir es können. Und gibt trotzdem oft noch dämliche Antworten. Wieso gehen wir dann mit uns (und anderen) so hart ins Gericht, wenn wir hinterher feststellen: wrong decision. Denn meist lag der Fehler einzig und allein darin, dass man nicht alle Aspekte der Wirklichkeit gegeneinander abgewogen hat.
Kommen wir zu den Nice-to-have-Kriterien.
Kriterium No 3️⃣: unser PoI muss aufhören wollen, sich schlecht zu fühlen, weil man denkt, man hätte es besser wissen müssen. Kein Ausschlusskriterium, aber zumindest sollte sich der Stolz des „genau hingesehen Habens“ im Lauf der Zeit einstellen, denn wir brauchen unsere Person of Interest im Unternehmen bzw. der Organisation immer auch, um interne Kritiker, die Kriterium 1, 2 oder beide Kriterien nicht erfüllen, im Griff zu halten. Daher versuchen wir, das gelingt uns aber nicht immer, auch jene „unbekannten“ Stakeholder kennen zu lernen, zumindest wenn diese PoNI (Personen of No Interest) formelle oder informelle Macht haben, Prozesse nach Gutdünken zu kippen. Ob wir das Vertrauen der Organisation genießen, ist zumindest entscheidend dafür, ob die teuer erworbenen Erkenntnisse in der Schublade landen und wir danach nie wieder zusammenarbeiten, was schade ist. Denn Fragen gibt es immer wieder. Kriterium No 4️⃣, alle Stakeholder vorher zu kennen, würde ich daher ebenfalls als „Nice to have“ entscheiden, weil wir, solange wir nachweislich gute Arbeit liefern, keinen Reputationsschaden erleiden.
Obwohl wir also mit unseren Research-Dienstleistungen ein höchst rationales Angebot in einem rationalen B2B-Markt anbieten, sind die Kundenanbahnungsgespräche oft nur in zweiter Linie von der Frage geprägt, wie wir die Fragestellung nun bearbeiten. Das ist im Grunde nur der Beifang, hier einigen wir uns immer, hier hören wir auch gerne auf SIE, wenn Sie eine gute Idee haben. Viel wichtiger ist, ob Sie wissen wollen, was Sie bald wissen werden.
Ich weiß: In dem Moment, in dem ich dieses Gespräch nicht mehr offen führen kann, weil ich mich selbst korrumpiert habe (und mir alles egal ist) oder die Welt Erkenntnisfortschritt aus welchem Grund auch immer für eine lächerliche, dumme, kindische Angelegenheit hält, werde ich den Laden mit Würde schließen.
Bis dahin – testen Sie uns. Schildern Sie uns Ihr Unbehagen, Ihre These, Ihre Idee. Den Rest klären wir dann im Gespräch.
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