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Resilienz gegen Krisen

Ein Beitrag von Kristian Schulze

Kristian Schulze arbeitet als Journalist, Redakteur und Reporter in Leipzig, wo er Journalistik und neuere Geschichte studiert hat.

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Veröffentlicht: 09.11.2022

Lesezeit: 9 Minuten

Letzte Änderung: 26.09.2023

Schlagworte:

  • #expertennetzwerk
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  • #logistik
  • #mobilitätsbiographie
  • #resilienz

Resilienz ist das neue Zauberwort, mit dem sich Einzelpersonen, Haushalte, Unternehmen und ganze Gellschaften gegen Krisen absichern sollen. Für 20blue zeigt Kristian Schulze, was es wirklich braucht, um resilient zu sein – und warum Wissen dabei der wichtigste, aber oft vergessen Faktor ist.

Amat Victoria Curam: Vorbereitung ist alles

„Der Sieg liebt die Vorbereitung“, so wird das lateinische Sprichwort wohl korrekt übersetzt. Aber keine Angst: Um Latein geht’s hier nicht, vielmehr um eine Sache, für die ein ebenfalls aus dem Latein entlehntes Wort gern benutzt wird, weil es so ganz wunderbar wissenschaftlich wirkt – um Resilienz. Mit diesem Zauberwort wird aus gut nachvollziehbaren Gründen gerade jetzt wieder stärker nach der Widerstandsfähigkeit gegen Krisen gegoogelt, nach der Zauberformel, die Unternehmen und Haushalte, die Wirtschaft insgesamt und ganze Gesellschaften „resilient“ machen soll.

Hantiert wird da mit begrifflich weitläufigen Zutaten wie Nachhaltigkeit und Autonomie, Digitalisierung, Diversifizierung und Flexibilität. Und ja, alle diese Zutaten spielen eine Rolle. Doch Fragen nach ihrer Zusammensetzung und wo man sie herbekommt, werden wissenschaftlich kaum mal konkret für den einzelnen Patienten beantwortet. Aus gutem Grund: Es ist nicht so einfach. Und vergessen werden oft auch so schwer käufliche Zutaten wie Offenheit und Kreativität, Mut, Aufmerksamkeit und Ehrlichkeit und die allerwichtigste – Wissen.

Nur wenn mindestens alles das im je nach Einzelfall richtigen Verhältnis verrührt wird, bekommen wir vielleicht etwas, das widerstandsfähig macht gegen etwas, wovon wir eigentlich noch kaum etwas wissen können – die nächste Krise. Dazu aber weiter unten mehr, auch wenn es die eine Zauberformel natürlich auch hier nicht geben wird.

Zunächst möchte ich noch kurz loswerden, dass Resilienz hier verstanden wird als Resistenz gegen störende Einflüsse, als Fähigkeit und Eigenschaft, unerwartete Krisen und ungünstige Umstände ohne bedeutsame Schäden zu überstehen.

Lernen aus der Vergangenheit?

Und dafür braucht es meist noch etwas – Zeit. Denn Resilienz entsteht kaum von heute auf morgen und nur mit großen Schwierigkeiten gegen Krisen, die schon da sind. Auch in diesem Beitrag heißt es, mit Resilienz gehe es „gut gerüstet durch die nächste Krise“. Obwohl also am Beginn des lateinischen Verbs resilire ein „zurück“ steht: Kein Resilienz-Zauber kann die Zeit zurückdrehen und schon gar nicht die vertane.

So nützt es heute auf den ersten Blick vielleicht wenig, auf vergangene Krisen zu blicken, etwa auf die Beispiele für Resilient Practices des Fraunhofer-Instituts –, darauf wie sächsische Unternehmen in der Coronavirus-Pandemie resilient waren.

Bei näherem Hinsehen zeigen die Beispiele aber – neben einer ganzen Reihe an wichtigen Aspekten – mindestens einen gemeinsamen Erfolgsfaktor: Es wurde frühzeitig auf die Krise und ihre Erscheinungen reagiert. Das macht zwar die Probleme nicht weg. Aber abwarten, dass der Wind sich legt, reicht nicht. Eine der dümmeren Textzeilen für diesen Zusammenhang stammt von Pseudo-Poet Xavier Naidoo: „Setz dein Segel nicht, wenn der Wind das Meer aufbraust.“ Tatsächlich ist jeder Skipper besser beraten, mit seinen Segeln etwas Vernünftiges anzufangen, wenn Wind ist. Und noch besser könnte es ihm gehen, wenn er weiß oder wenigstens ahnt, welches Wetter dieser Wind denn ankündigt, einen Sturm vielleicht? Dazu braucht es Wissen statt hohler Phrasen.

Wissen was kommt?

Wissen macht wirksamer resilient, weil es die Wahrscheinlichkeit erhöht, rechtzeitig zu erkennen und reagieren zu können. Eine fundierte Risikoanalyse sollte also jederzeit ein Thema sein. Wo ist man exponiert gegen welche Risiken, des Geschäftsmodells und der Lieferketten, bei sich selbst und bei Partnern?

Solche Fragen zu beantworten, sei eigentlich immer nötig, wie Gerhard Heß, Professor für Supply Management an der TH Nürnberg, hier in einer Serie zum Thema anmerkt. Leider ist das nicht immer möglich. Auch Heß meint, risikobewusstes Management müsse klären: „Wann rechtfertigen Risiken die zusätzlichen Kosten einer Second Source, einer Lokalisierung oder eines Bestandsaufbaus?“ – wohl als Mindestanforderung. „Second Source oder Local Sourcing sind weit verbreitete Empfehlungen, um die Resilienz in den Lieferketten zu stärken. Das kann jedoch schnell sehr teuer werden“ schreibt Heß. Es gehe darum, Lieferketten „an den richtigen Stellen widerstandsfähig“ zu machen und das sei sogar „einfacher als im ersten Moment vermutet.“

Aber: Je länger die Windstille, umso höher das Risiko zu glauben, das bleibe jetzt immer so oder zumindest noch länger. In Zeiten des Klimawandels kann das Wetter – auch im übertragenen Sinn auf die Gesellschaft und ihre Wirtschaft – sehr viel schneller umschlagen und heftiger werden, als wir aus der Vergangenheit „wissen“.

Es geht allerdings um bestimmtes Wissen, um nicht eben leicht zu beschaffende Informationen. Es muss klar sein, was man wirklich wissen muss. Mit ein bisschen Statistik ist da nicht viel gewonnen. Wer einen Geschäftspartner im Iran hat, sollte/hätte sich längst selbst über das Land schlau machen, darüber nachdenken oder sich Expertise holen/sollen. Hätte, hätte doch nur… die deutsche Politik sich Russland, seine Entwicklung und die führenden Vertreter doch etwas genauer angesehen.

Hinterher sind alle schlauer. Und in der aktuellen Lage haben wir es, wie hier schon einmal besprochen, mit verschränkten Knappheitskrisen auf globaler Ebene zu tun. „Nach der Krise ist vor der Krise“ und rechtzeitige Reaktion auch nicht immer möglich. „Die Einkaufspolitik der Unternehmen wird erratisch“, schreibt Kollege Heinickel, da „Planungsunsicherheit zu einem eigenständigen Faktor der Angebotsverknappung“ werde, „werden Investitionen zurückgehalten“. Und jetzt wird auch noch Geld teurer! Doch vor allem ist es Energie, die jetzt knapp ist, und mehr als Reagieren kaum mehr möglich. Mehr sehen ist aber besser als nichts, die Augen offenhalten, schon in guten Zeiten, ist vielleicht der wichtigste Faktor, um Resilienz zu stärken – für die Zukunft.

Wissen macht resilient

Mit dem richtigen Wissen zur richtigen Zeit ist man nicht erst hinterher schlauer. Unsere interdisziplinären Expert Hubs verschaffen Klarheit und Weitblick. Welches Wissen brauchen Sie für Ihre Entscheidungen?

Erfolgsfaktor X: Interesse für Politik

Ein Beispiel dafür, wo das – in gar nicht allzu ferner Vergangenheit – nicht geschehen ist: Das deutsche Energie-Unternehmen Uniper. Dessen Unique Performance hat sich als einzigartig einseitige Abhängigkeit von Russland erwiesen, woran Uniper gescheitert ist. Den Kollegen bei E.ON geht es derweil nicht bestens, aber doch besser. Aus eigener Kraft kann E.ON jetzt in die Resilienz-Zutat Digitalisierung investieren und in alternative Lieferwege für Gas als Energiequelle.

Man mag heute argwöhnen, E.ON habe gut daran getan, sich 2016 von Uniper zu trennen. Vielleicht, so möchte man hoffen, gab es in Düsseldorf doch einige, die nach der russischen Annexion der Krim 2014 in der Abhängigkeit der noch jungen Tochter von Russland ein Risiko gesehen haben. Fragen müsste man das die Manager bei E.ON, Uniper und der finnischen Fortum, die dieses Risiko damals gekauft hat. Aus dem Fall von Uniper – von einem Börsenkurs über 20 Euro auf den Pennystock-Übernahmepreis für den Bund jetzt von 1,70 Euro – ergibt sich aber auch für kleinere Unternehmen und ihre Lenker und Chefinnen eine wichtige Nachricht zum Thema Resilienz: Sie sollten sich mit Politik beschäftigen, namentlich mit der Politik der Länder, in denen man Partner oder Lieferketten hat, aus denen wichtige Rohstoffe kommen und vor allem dann, wenn sie ein wichtiger Absatzmarkt sind.

Welches Wissen wirkt

Wieder also geht es um ganz bestimmtes Wissen – um politische Entwicklungen, zielgerichtete Analysen und Prognosen. Wer meint, das sei als Journalismus oder länderspezifische Politologie überall leicht zu haben, täuscht sich vielleicht: Die für das eigene Unternehmen richtigen Fragen zu stellen und Antworten zu filtern aus einem zum Teil oft auch noch fremdsprachlichen Wust an Informationen, ist schwierig.

Man sollte meinen, dass Dax-Konzerne hier gut unterwegs sind. Doch Adidas etwa, um oben anzufangen, hat zuletzt seine Geschäftsprognose zum wiederholten Mal gesenkt. Warum? Weil in China die vielen Corona-Lockdowns die Läden noch länger leer stehen lassen. Ware und Lager hat Adidas – neben anderen Schwierigkeiten – so viel, dass Rabattaktionen in westlichen Ländern helfen sollen. Wie abhängig Adidas aber von China ist, zeigte zuletzt wieder der 4. November: Am Tag des Kanzler-Besuchs in Peking schoss die Aktie um 21 Prozent hoch, nachdem es Jahre stetig nach unten gegangen war. Warum? Es gab Signale, die Führung in China werde ihre Covid-19-Politik lockern.

Ob dies das Ende der Resilienz-Probleme für Adidas markiert, darf aber bezweifelt werden. Denn während der Pandemie, auch hierzulande, hat Adidas nicht viel an seiner Lage ändern können – anders als etwa Metro. Der Großhändler zeigt, dass nicht alle im Handel im selben Boot sitzen. Metro steigerte den Jahresumsatz um 20 Prozent, fährt mehrgleisig mit stationärem und Online-Handel. Und diese Diversifizierung hilft.

Auch der Chef der Deutschen Rohstoffagentur, Peter Buchholz, forderte kürzlich beim MDR, die deutsche Industrie solle sich bei der Rohstoffbeschaffung breiter aufstellen. Der Ukraine-Krieg zeige, dass es höchste Zeit sei, zu diversifizieren. Man müsse neue Lieferanten frühzeitig aufbauen, um Alternativen zu haben. Eine mögliche Lösung seien größere, finanziell schlagkräftigere Konsortien und denkbar auch strategische Beteiligungen an Rohstoffproduzenten, etwa in Afrika, Südamerika oder Australien.

Unabhängigkeit als Resilienz-Faktor

Eines aber forderte Buchholz nicht: Nationale Unabhängigkeit. Für ein kleineres Unternehmen mag es zwar sinnvoll sein, auch regionale und lokale Alternativen in petto zu haben oder ganz auf sie zu setzen. Insgesamt aber kann De-Globalisierung und Re-Nationalisierung nicht die Antwort sein: Wirtschaftliche Abhängigkeiten sind ein politisches Programm, das in Europa seit 1945 erfolgreich für Frieden gesorgt hat. Die europäische Integration, die EU, ihr Binnenmarkt, der Euro, die gemeinsame EU-Außenpolitik sind Faktoren pro Resilienz. Das wird gerade gern vergessen, wenn man glaubt, die richtige Lehre aus dem Ukraine-Krieg sei Unabhängigkeit um jeden Preis.

Nichts an sich gegen Unabhängigkeit. Unter der Fahne des Nationalismus allerdings führt sie in eine unangenehme Nische. Und der Fehler hat nicht darin gelegen, sich von Russland bei Energie so abhängig zu machen. Er lag darin, sich so abhängig zu machen von einem Russland, das nicht rechtsstaatlichen Regeln folgt. Wie gefährdet ist ein Land, in dem man Lieferketten oder Partner hat, Geschäfte macht oder investiert im Hinblick auf diese Frage? Die zu stellen, wäre eine Lehre aus der aktuellen Krise.

Und da muss man nicht nur im fernen Osten suchen, in China etwa, um Probleme zu finden. Mit Polen, Ungarn und nun wohl leider auch Italien liegen Beispiele für solche Risiken nahe. Und das gilt auch für Großbritannien und das anscheinend schwierige Verhältnis gerade seiner nationalistischeren Vertreter zum Thema Vertragstreue. Auch Rechtsstaatlichkeit ist ein Resilienz-Faktor, wenn auch wieder nur einer in einer überaus komplexen Formel, die im Einzelfall immer wieder neu gesucht werden muss.

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