Zum Hauptinhalt springen
Kontakt aufnehmen
Blog

„Sind Sie fein damit?“ #bescheuerteAnglizismen im Deutschen

Ein Beitrag von Elka Sloan

Elka Sloan ist eine erfahrene Redakteurin, Übersetzerin und Sprachberaterin für eine Vielzahl von Kunden.

Mehr von Elka Sloan

Veröffentlicht: 15.07.2021

Lesezeit: 4 Minuten

Letzte Änderung: 04.09.2023

Themen:

Schlagworte:

  • #internationalisierung
  • #sprache
  • #übersetzung

An Anglizismen scheiden sich die Geister. Bedrohen sie die deutsche Sprache oder können sie nützliche Bereicherung sein? Elka Sloan widmet sich seit langem der Anglizismus-Kritik und erklärt im Beitrag: „Es nutzt nichts, sie zu beklagen oder abschaffen zu wollen, während der Wandel und die ihn begleitende Debatte in vollem Gange sind. So mancher Anglizismus war die Aufregung gar nicht wert, weil er genauso schnell wieder aus der Mode kam, wie er sich verbreitet hatte.“

Eine Moderatorin der digitalen Hannover Messe fordert die Teilnehmenden auf, sich frei zu fühlen, weitere Veranstaltungen zu besuchen, an anderer Stelle wird angeboten, man könne gestaged werden, außerdem werde bedauert, dass irgendwer noch nicht ongeboardet sei (beides vom amerikanischen Programm Microsoft Word mit Wellenlinien als inkorrekt gekennzeichnet) und ich habe einen lieben Kollegen, der immer fragt, ob die Beteiligten fein mit etwas seien. Diese Beteiligten gehören selbstverständlich alle zur großen Community der Werker, die sich auf dem digitalen Shopfloor tummeln.

Für diese und ähnliche Sprach-Besonderheiten nutze ich auf meinem Twitter-Account das Hashtag #bescheuerteAnglizismen. Auf meiner Liste von Beanstandungen stehen

  • Einzelvokabeln, für die es deutsche Entsprechungen gibt (Shopfloor),

  • deutsch durchkonjugierte englische Verben wie die oben zitierten (im Übrigen geht das auch mit Hauptwörtern, aber da wirkt es meistens nicht so schlimm) und

  • last but not least die wörtlich übersetzten Redewendungen wie „ich bin fein damit“, „fühlen Sie sich frei“ oder „am Ende des Tages“.

Lehnwörter sind natürlich nichts Neues. Im Siebzehnten und Achtzehnten Jahrhundert hielt sich in Deutschland jeder Kleinstfürst für Ludwig den Vierzehnten, und deshalb sprach man an den zahllosen Höfen Mitteleuropas Französisch. Heute erleben wir ein nie gekanntes Maß an Globalisierung, und die Sprache dieser Globalisierung ist Englisch. Die deutsche Sprache ist sicher nicht die Einzige, die mit Anglizismen geflutet wird.  Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied zur Situation in Zeiten der Fürstenhöfe – damals sprach eine sehr dünne Oberschicht eine fremde Sprache, aber die heutige Aneignung englischer Sprachelemente geht quer durch die ganze Gesellschaft, sie ist durch und durch demokratisch. Es reicht von den Obszönitäten des Rap über verunglückte pseudo-englische Produktnamen (sehr schön gesammelt von Peter Littger) bis hin zu Fachausdrücken aus Wirtschaft und Finanzwesen. Der Gebrauch der letzteren kommt manchmal am ehesten an die Kleinfürsten des Achtzehnten Jahrhunderts heran – eine arrogante Oberschicht, die sich schon durch ihren Sprachgebrauch vom niederen Volk absondert. Der Kabarettist Maxi Schafroth hat immer wieder den Business-Angeber im Programm, der mit hippen Anglizismen nur so um sich schmeißt. Maxi Schafroth war übrigens Banker, bevor er Kabarettist wurde. Dieser Berufsstand wurde in Deutschland noch um 1900 „Banquier“ geschrieben, dann „Bankier“, bis wir nach dem 2. Weltkrieg irgendwann mal zum Banker übergingen. Ein schönes Beispiel für die zahlreichen Fälle, in denen ein französisches Lehnwort von einem englischen abgelöst wurde.

Die Übernahme von Lehnwörtern aus anderen Sprachen ist also nichts Neues. Genauso wenig neu ist es, dass über diese Worte und Konstruktionen debattiert wird und dass sie vehement abgelehnt werden. Der Verein für Deutsche Sprache vergibt jedes Jahr den Titel „Sprachpanscher des Jahres“. Ganz oben in der Liste der Beanstandungen sind jedes Jahr (neben der Genderei) die Anglizismen.

Auch im Achtzehnten Jahrhundert hat man sich über die deutsche Sprache Gedanken gemacht und versucht, sie von fremden Einflüssen zu reinigen. Dabei ging es den Sprach-Puristen nicht nur um das Französische, sondern um alles, was nicht germanischen Ursprungs war. Oder was man dafür hielt. Das ging so weit, dass man vorschlug, das Wort „Theater“ durch „Schauburg“ zu ersetzen oder das Wort „Horizont“ durch „Gesichtsendiger“. Derlei Bemühungen wurden auch schon von den Zeitgenossen verspottet, indem man beispielsweise unterstellte, die Sprachreiniger wollten die „Nase“ durch den „Gesichtserker“ ersetzen.

Etliche Neuschöpfungen der damaligen Sprachpuristen haben sich aber gehalten: „Augenblick“ für „Moment“, „Bücherei“ für „Bibliothek“, „Briefwechsel“ für „Korrespondenz“.

Fazit

Was lernen wir daraus? Man muss immer ein paar Jahrzehnte warten, bis sich Neuerungen in der Sprache einbürgern. Es nutzt nichts, sie zu beklagen oder abschaffen zu wollen, während der Wandel und die ihn begleitende Debatte in vollem Gange sind. So mancher Anglizismus war die Aufregung gar nicht wert, weil er genauso schnell wieder aus der Mode kam, wie er sich verbreitet hatte. Wer geht z. B. heute noch in einen Beatclub? Entspannen wir uns. Inzwischen finde ich es weiterhin bescheuert, wenn jemand „ongeboardet“ sagt.

Weitere interessante Beiträge

Kooperation in kollaborativ: wie Business-Partnerschaften gelingen

Werkstattbericht

Kooperation in kooperativ: Wie funktionieren gelungene Business-Partnerschaften im agilen Krisenzeitalter? Eine Bestandsaufnahme von Anja Mutschler, 20blue

#csr #kommunikation #kooperation #transformation
14.03.2024 | Anja Mutschler

Staffel 2, Folge 3: Dezentrales Erinnern und Denkmäler

In dieser Dezember-Ausgabe des 20blue-Podcasts spricht die aus dem Westen nach Leipzig gekommene Unternehmensgründerin Anja Mutschler mit einer Frau, die eine andere Geschichte hat: Gesine Oltmanns, Zeitzeugin und Mitgründerin der...

#geschichte #kultur #politik
12.12.2023 | Kristian Schulze

Staffel 2, Folge 2: Szenarioplanung

In der zweiten Folge der neuen 20blue-hour-Staffel hat Anja Mutschler Hanna Jürgensmeier zu Gast, Partnerin bei der ScMI AG – einer auf Zukunftsszenarien spezialisierten Beratung für Strategie und Innovationen.

01.12.2023 | 20blue

Wie positionieren sich Unternehmen international in unsicheren Zeiten?

Werkstattbericht

Unser White Paper stellt die wichtigsten Entwicklungen und Treiber im Bereich der Internationalisierung vor und erarbeitet die Fragen, die sich Unternehmen aktuell stellen sollten.

#internationalisierung
02.11.2023 | 20blue

Staffel 2, Folge 1: Shitstorms und Online-Kommunikation

Folge 1 der neuen Staffel beschäftigt sich mit Shitstorms und Online-Kommunikation, den Spezialthemen von Dr. Christian Salzborn.

02.11.2023 | 20blue

20blue minutes #17: Prof. Dr. Ralf Wehrspohn

In der 17. Folge der 20blue minutes ist Prof. Ralf Wehrspohn von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg zu Gast, um mit Anja Mutschler über disruptive und inkrementelle Innovationen im Zusammenspiel von Forschung...

#forschung #innovation #wirtschaft
23.08.2023 | 20blue

Über 20blue

Das Research Institute 20blue bringt Sie weiter! Wir sorgen seit 2011 mit wissenschaftlichen Insights und Methoden für den nötigen Durchblick. Unser Research Institute sichert Entscheidungen ab - dank 300 Expert*innen aus vielen Disziplinen, Branchen und Ländern. Ebenso vielfältig: unsere Kunden aus Wirtschaft und Politik. Im interdisziplinären Zusammenspiel entsteht neues Wissen auf dem Weg zur nachhaltigen Transformation.

Mehr erfahren